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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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angeordnet hatte, dazu eine Übernachtung im Krankenhaus – das war ein teurer Verdacht, den sie da gehabt hatte. Vielleicht war Emersons Gedächtnis ja lückenhaft; vielleicht hatte Pomeroy wirklich vor nicht allzu langer Zeit die Diagnose aufgefrischt; allerdings bezweifelte sie das. Nach dem, was sie aus seiner Kartei hatte ersehen können, war Pomeroy ein nachlässiger Arzt gewesen, der lieber ein Rezept für irgendeine neue Pille ausstellte, als sich die Mühe zu machen, nach den Ursachen für die Symptome eines Patienten zu forschen.
    Sie verließ das Krankenhaus und fuhr nach Tranquility zurück. Als sie in ihrer Praxis ankam, hatte sie nur noch eines im Sinn: Emersons Krankenakte noch einmal gründlich durchzusehen und sich selbst zu beweisen, daß ihre Entscheidung, ihn ins Krankenhaus einzuweisen, gerechtfertigt war.
    Vera war am Telefon, als Claire hereinkam. Sie wedelte mit dem Hörer und sagte: »Sie haben einen Anruf von Max Tutwiler.«
    »Ich nehme ihn in meinem Sprechzimmer an. Könnten Sie mir Warren Emersons Akte heraussuchen?«
    »Warren Emerson? «
    »Ja, ich habe ihn gerade wegen epileptischer Anfälle ins Krankenhaus eingeliefert.«
    »Wieso?«
    Claire blieb in der Tür ihres Sprechzimmers stehen und warf Vera einen strengen Blick zu. »Warum zweifeln alle in dieser Stadt an meinem Urteilsvermögen?«
    »Na, ich habe mich bloß gewundert«, meinte Vera.
    Claire schloß die Tür und ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. Jetzt würde sie sich bei Vera entschuldigen müssen. Ihre Liste von Mea Culpas wurde länger und länger. Sie war jetzt nicht in der Stimmung, mit irgend jemandem zu reden; zögernd hob sie den Telefonhörer ab.
    »Hallo, Max?«
    »Ist es gerade günstig?«
    »Fragen Sie mich nicht.«
    »Oh. Na, dann fasse ich mich kurz. Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren, daß die Identität dieses blauen Pilzes bestätigt worden ist. Ich habe ihn einem Mykologen geschickt, und er ist auch der Meinung, daß es sich um Clitocybe odora handelt, den Anistrichterling.«
    »Wie giftig ist er?«
    »Nur ganz schwach. Die geringen Mengen von Muscarin würden nicht viel mehr als eine leichte Verdauungsstörung bewirken.«
    Sie seufzte. »Das ist also eine Sackgasse.«
    »Scheint so.«
    »Was ist mit diesen Wasserproben? Sind die Ergebnisse da?«
    »Ja, ich habe einige der vorläufigen Resultate hier. Ich hole schnell den Ausdruck ...«
    Vera klopfte an die Tür und kam mit Warren Emersons Akte herein. Sie sagte kein Wort, warf nur die Mappe auf den Schreibtisch und ging wieder hinaus. Während sie darauf wartete, daß Max ans Telefon zurückkam, öffnete Claire die Akte und warf einen Blick auf die erste Seite. Sie trug das Datum 1932, Emersons Geburtsjahr. Beschrieben wurden die unkomplizierten Wehen und die Entbindung eines gesunden Sohnes einer gewissen Mrs. Agnes Emerson. Der Name des Arztes war Higgins. Die nächsten Seiten waren Routineuntersuchungen und Hausbesuchen während der Kindheit gewidmet.
    Sie blätterte weiter und stutzte, als sie das Datum las: 1956. Zwischen der vorangehenden Eintragung und dieser klaffte eine Lücke von zehn Jahren. Erstmals erschien jetzt Dr. Pomeroys Unterschrift in der Akte. Sie begann, seine Eintragung zu lesen, doch sie wurde von Max’ Stimme unterbrochen.
    »Die Ergebnisse für die Bakterienkulturen stehen noch aus«, sagte er. »Was ich sehen kann, ist, daß die Werte für Dioxin, Blei und Quecksilber alle im grünen Bereich sind ...«
    Claires Aufmerksamkeit wurde plötzlich von der Akte gefesselt. Von dem, was Pomeroy im letzten Absatz geschrieben hatte: » Hat seit seiner Verhaftung im Jahr 1946 keine weiteren Gewalttaten begangen. «
    »... nächste Woche dürften wir mehr wissen«, sagte Max. »Aber bisher scheint es, als sei die Wasserqualität recht gut. Keine Anzeichen für chemische Verunreinigungen.«
    »Ich muß jetzt gehen«, unterbrach sie ihn. »Ich rufe Sie später zurück.«
    Sie legte auf und las Dr. Pomeroys Eintragung noch einmal von Anfang bis Ende. Sie war geschrieben worden, als Warren Emerson fünfundzwanzig Jahre alt gewesen war. In dem Jahr seiner Entlassung aus der Staatlichen Nervenklinik in Augusta.
    Neunzehnhundertsechsundvierzig. In welchem Monat hatte Warren Emerson die Gewalttat begangen?
    Claire stand im Archivraum im Keller der Tranquility Gazette und blickte auf den hölzernen Aktenschrank, der eine ganze Wand einnahm. Die Schubfächer waren alle mit Jahreszahlen gekennzeichnet. Sie öffnete das

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