Trügerischer Friede
beobachtete, wie das Licht der Sonnen als dünner, goldener Streifen durch das schmale Fenster in seine Zelle fiel und langsam über den Boden wanderte. Er saß auf der Pritsche, hatte den blutbesudelten Harnisch abgelegt und nur das Kettenhemd anbehalten, um sich ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Allein Angor wusste, wie lange ihn die Grünhaare festhalten würden. Er stand auf, nahm den Wasserkrug und riss ein Stück des groben Lakens ab, um die Rüstung vom Blut des Kensustrianers zu befreien. Noch schlimmer als die Ungewissheit über die eigene Zukunft war, dass er nicht wusste, ob sich die Reise nach Khömalin überhaupt gelohnt oder ob der Vorfall den Untergang Ammtaras besiegelt hatte.
Seine Rechte fuhr mit dem feuchten Tuch über die eingravierten Symbole des Panzers. »Angor, ich bitte dich, schütze das Leben der anderen und ziehe nur mich zur Rechenschaft, ich bitte dich«, sagte er laut. Die Riegel der Zellentür wurden zurückgeschoben, der Eingang öffnete sich, und Pashtak trat ein, einen Korb voller Essen in der Linken haltend. »Schön, Euch zu sehen«, grüßte er den Ritter und reichte ihm die Hand, die Tokaro erleichtert ergriff und schüttelte.
»Kommt Ihr, um mit mir den Kerker zu teilen, oder bringt Ihr meine Henkersmahlzeit?«
»Weder noch, Tokaro. Ich verlasse Khömalin zusammen mit Gän als freies Wesen und kehre nach Ammtara zurück,
das bald einen anderen Namen tragen wird.« Rasch fasste er die Ereignisse vor dem Priesterrat zusammen. »Sie haben nach unserem Treffen entschieden, uns eine Frist bis zur Jahreswende zu geben, um die Stadt zu verändern und sie anders zu nennen. Ein Bote hat es mir heute gesagt.«
»Dann war mein Tod nicht umsonst«, sagte Tokaro teils erlöst, teils traurig. Pashtak brummte. »Ihr werdet nicht vor Angor treten, seid beruhigt. Aber Ihr habt eine lange Zeit der Prüfung vor Euch. Ihr habt kensustrianisches Kriegerblut vergossen, und nun liegt es an der Familie des Getöteten, eine Strafe für Euch zu fordern. Allerdings wohnt sie im Südosten des Landes, und es wird dauern, bis sie in Kenntnis gesetzt wurden und antworten.«
»Und weshalb werde ich nicht wegen Mordes auf der Stelle hingerichtet?« Er nahm sich Brot aus dem Korb und etwas, das aussah wie Schinken, und aß. »Nicht dass ich es mir wünsche. Ich bin bloß
neugierig.«
»Weil es kein Mord war. Das haben die Torwachen bezeugt«, erklärte Pashtak. »Wärt Ihr ein Kensustrianer, kämet Ihr frei. Für Fremde zählen besondere Gesetzgebungen. Auch wenn es eine Art Notwehr war, hat die Familie das Recht, eine Sühne zu verlangen.« Er rutschte von der Wasserlache am Boden weg, die ihm zu sehr nach Blut roch. »Im schlimmsten Fall werdet Ihr einen Zweikampf gegen einen Freund des getöteten Kriegers bestreiten müssen. Im besten Fall kommt Ihr mit der Zahlung einer Entschädigung und einer Entschuldigung vor aller Augen und Ohren davon.«
Tokaro begriff. »Und solange sie sich nicht gemeldet hat, bleibe ich hier.« Er fühlte sich durch die Nachricht befreiter. »Dann hoffe ich sehr, dass sich die Familie des Kriegers bald meldet, ehe ich versauere und alt werde.« Ihm fiel auf, dass
Pashtak Estra nicht erwähnt hatte, daher fragte er nach.
»Sie muss ebenfalls bleiben«, antwortete er gefasst. »Sie hat sich als Belkalas Tochter zu erkennen gegeben, und nun
will der Priesterrat sich mit ihr besprechen.«
»Besprechen«, wiederholte der Ritter. »Was bedeutet das? Sie ist die Nachfahrin einer Ausgestoßenen, die anscheinend den größtmöglichen Frevel begangen hat, den man als Angehörige der Priesterkaste begehen kann.« Eine schreckliche Unruhe befiel ihn, er legte sein Essen beiseite. »Ist sie hier sicher, Pashtak?«
»Mir wurde geschworen, dass ihr Leben nicht angetastet wird«, erwiderte er auf die Frage. Das dunkle Girren zeigte Tokaro, dass es auch dem Oberhaupt Ammtaras nicht gefiel, seine Inquisitorin in Khömalin zu lassen. »Ich habe keine Ahnung, was ihr bevorsteht.«
»Ihr müsst sie mitnehmen, egal wie«, bat Tokaro ihn. »Ich kann nicht! Wer weiß, welche Reaktion das bei den Priestern hervorruft. Am Ende befehlen sie den Truppen vor unserer Stadt doch noch den Angriff«, knurrte er und senkte die gelben Augen. Die roten Pupillen suchten sich einen Punkt am Boden, um den Ritter nicht anschauen zu müssen. »Sie wusste, worauf sie sich einließ, als sie den Namen ihrer Mutter offenbarte.« »Ihr lasst sie im Stich«, stellte Tokaro wütend fest. »Nein, sie hat
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