Trügerischer Friede
die rohes Fleisch mochte«, hörte er Fatjas Stimme unheilvoll sagen.
Die Türen wurden aufgestoßen, ein aufgeregter Milizionär stürmte herein und unterbrach das gemeinsame Mahl. »Rantsila, wir haben etwas gesehen! Es schleicht um die Stadt und«, er rang nach Luft, »es leuchtet wieder! Auf der Lichtung leuchtet es wieder!«
Lorin fluchte. Er kehrte hurtig an den Tisch zurück, weil er sah, dass die Kensustrianer mangels Verständnis der Lage ihre Hände an die Schwertgriffe gelegt hatten und sich bereit hielten, einem Angriff zu begegnen. »Nein, Simar, der Aufruhr gilt nicht Euch«, beschwichtigte er die Fremden.
»Leuchten?«, hakte Simar nach. »Blau?«
»Es ist .. wilde Magie. Wir haben unsere Schwierigkeiten damit«, gestand er ein und entschied spontan, den Gästen das Zeichen der Steine von der Stadtmauer aus zu zeigen.
»Kommt, ich erkläre es Euch.«
Die Versammlung wurde aufgehoben. Die Einwohner
kehrten in die Häuser zurück und warteten hinter den sicheren Türen, bis ihnen der Ausrufer Neuigkeiten brachte.
Die Kensustrianer liefen hinter Lorin durch die Straßen Bardhasdrondas bis zum Stadttor, wo sie den Wehrgang erklommen, um einen besseren Ausblick zu haben.
Erklärend deutete der junge Mann durch die Regenschleier hinüber zum Wald, der als düsterer Fleck erkennbar war. Mitten heraus stieg ein blauer Lichtfinger senkrecht nach oben und stach in die tief hängende Wolkendecke, als wollte er noch mehr Wasser daraus hervorbrechen lassen.
»Blaues Leuchten.« Gespannt schaute er in Simars Gesicht, in dem er eine Spur Tierhaftes entdeckte, das ihm bei den Kensustrianern Ulldarts nicht aufgefallen war. Oder sollte es die Wirkung von Fatjas Worten sein?
Simar blieb zu Lorins Überraschung die Ruhe selbst. Er drehte sich zu einem seiner Begleiter und redete in seiner Heimatsprache, woraufhin dieser nickte und ausgiebig antwortete. »Ihr habt einen .. «, er suchte nach dem treffenden Ausdruck. »Hort?«
»Einen Hort?«, echote Lorin.
»Einen Hort. Im Wald. Sind Qwor.« Er zog sein Messer, bückte sich und ritzte damit Umrisse in die Bohlen des Wehrganges. »Habt Spuren gefunden? So?« Die Messerklinge richtete sich auf Linien, die Lorin sehr bekannt erschienen.
»Ja«, stimmte er verblüfft zu. Sie entsprachen ungefähr
den Abdrücken, die er auf der Lichtung ausgemacht hatte. »Aber größer«, setzte er hinzu und deutete auf seinen Unterarm. »So lang.«
»So lang?« Nun war Simar doch beeindruckt. »Nicht gut für Bardhasdronda.« Er erhob sich und schaute über die Mauer. »Hort wie groß? Und wie alt?«
»Was meint er mit Hort?«, murmelte Rantsila leise, der die Treppe hinaufgestiegen war und sich zu ihnen gesellte. »Nest vielleicht? Die Steine sehen ja aus wie Eier.«
»Neun«, sagte Lorin und hielt die passende Zahl Finger in die Höhe. »Keine Ahnung wie alt. Sehr alt.«
»Schlecht nicht nur für Stadt«, korrigierte sich der Kensustrianer ernst. »Schlecht für ganzes Umland. Viele Tote. Bald noch mehr Horte und dann noch mehr Tote.«
Lorin verwünschte den Umstand, dass er kein Kensustrianisch und die Fremden weder gutes Ulldart noch die Sprache der Kalisstri beherrschten. Jedenfalls wussten sie, wogegen er und die Miliz anzutreten hatten. Jetzt wäre es noch besser gewesen, könnten sie dem Schrecken einen Namen geben.
»Was ist das?«, versuchte er es und ignorierte, dass ihn der Regen von Kopf bis Fuß durchweichte und sich das Wasser in seinen Stiefeln sammelte.
»Schwierig, nicht meine Sprache«, entschuldigte sich Simar. »Wir euch helfen.« Er machte eine geschickte Pause. »Ihr Seekarte?«
Wäre diese Frage nicht gekommen, hätte sich Lohns Misstrauen gegenüber den Kensustrianern nach den Worten seiner großen Schwester wieder gelegt, ja, er hätte nicht einen weiteren Gedanken daran verschwendet.
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»Wir geben Euch sicherlich eine Seekarte«, sagte Rantsila erleichtert, bevor Lorin etwas erwiderte.
»Wir nicht erzwingen«, sagte Simar lächelnd und zeigte die kräftigen Eckzähne. »Wir fragen. Helfen so oder so.« Die bernsteinfarbenen Augen beobachteten das lichter gewordene Unterholz entlang der Straße. »Qwor da. Wir töten für Euch.« Er drehte sich zu Rantsila. »Ihr Magie? Einer von Euch?«
Wiederum schneller, als Lorin es verhindern konnte, schüttelte der Anführer der Miliz den Kopf. »Nein, ich vermag es nicht. Aber Seskahin beherrscht sie.«
Lorin hob abwehrend die Hände. »Er übertreibt. Ich habe einen großen Teil davon
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