Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
diese Zeit treffen?«
»Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich in dein Zimmer gekommen wäre — das Zimmer, das du mit dem Mann einer anderen Frau teilst?« In der darauffolgenden Stille steckte er sich einen Joint an. Nach zwei Zügen bot er ihn Avery an. Sie schlug seine Hand zur Seite.
»Du kannst dir nicht vorstellen, in welche Gefahr du mich gebracht hast, indem du mich einfach angesprochen hast.«
Er lehnte sich an die Scheibe. »Ich bin ganz Ohr.«
»Van«, sie massierte sich verzweifelt die Schläfen. »Es ist nicht einfach, das alles zu erklären — besonders hier. Ich habe mich aus dem Hotel geschlichen. Wenn Tate merkt, daß ich weg bin...«
»Weiß er, daß du nicht seine Frau bist?«
»Nein! Und er darf es auch nicht erfahren.«
»Warum?«
»Das kann ich dir jetzt nicht erzählen, dazu brauche ich Zeit. Van, du darfst nicht darüber sprechen — mit niemandem — das wäre lebensgefährlich.«
»Ja, Rutledge wäre wahrscheinlich sauer genug, um dich umzubringen.«
»Ich rede von der Gefahr, in der Tate ist. Es steht eine Menge auf dem Spiel. Das wirst du einsehen, wenn du alles erfährst. Aber jetzt muß ich zurück.«
»Irre Sache, Avery. Wann hast du beschlossen, das zu machen?«
»Im Krankenhaus. Man hielt mich für Carole Rutledge. Sie hatten mein Gesicht schon verändert, bevor ich ihnen sagen konnte, wer ich wirklich bin. Frag Irish, er wird dir alles erklären.«
»Was, der Typ weiß es?« krächzte er.
»Erst seit kurzem. Irgend jemandem mußte ich mich anvertrauen.«
»Deswegen hat er mich auf diese Reise geschickt. Nicht wegen Rutledge, sondern deinetwegen.«
»Schätzungsweise. Ich wußte nicht, daß er dich damit beauftragt. Ich war platt, als ich dich in Houston sah. Es war schon schlimm genug, als du damals vor der Tür standest. Hast du mich da schon erkannt?«
»Als du aus der Klinik entlassen wurdest, ist mir schon aufgefallen, daß sich Mrs. Rutledge genauso wie du bewegt — es war unheimlich. Nachdem ich auf der Ranch gefilmt habe, war ich fast sicher. Und heute abend habe ich beschlossen, dir mitzuteilen, daß ich dein kleines Geheimnis kenne.«
»Mein Gott.« Erschreckt sah Avery hinter Van einen Wachmann auftauchen.
»Also gut, was ist los?« fragte Tate ärgerlich seinen Bruder. Jack hatte ihn an der Tür zum Hotel abgefangen und gesagt, er müsse ihn allein sprechen. Aber er hatte keine Lust auf eine längere Besprechung mit seinem Bruder. Die einzige Person, mit der er privat
reden wollte, war seine Frau, die sich seit ihrer Ankunft in Southfork so seltsam benommen hatte. Beim Essen hatte sie von einem grauhaarigen Mann gesprochen, den sie offensichtlich von früher kannte und der bei dem Bankett erschienen war. Und der mußte sie wohl auf dem Weg zur Toilette abgefangen haben, denn sie war kreidebleich, als sie zurückkam. Den Rest des Abends war sie schreckhaft und unkonzentriert gewesen, und wenn sie schon einmal lächelte, dann war es nur gezwungen. Er hatte noch nicht genauer nachfragen können und wollte das jetzt tun — sofort.
Aber um seinen Bruder nicht gegen sich aufzubringen, entschloß er sich, erst Jack anzuhören, und versprach seiner Frau, nur fünf Minuten wegzubleiben.
Sie wollte inzwischen an der Rezeption Briefpapier holen, das sie für Mandy mitnehmen wolle. Sie verschwand eilig, und er ging mit Jack hinauf.
Jetzt sah Tate seinen Bruder erwartungsvoll an, als er einen Briefumschlag aus der Tasche zog und ihn ihm gab. Tate riß ihn auf und las die Nachricht darin. Dann sah er seinen Bruder an.
»Wer hat dir das gegeben?«
Jack goß sich einen Brandy ein. »Erinnerst du dich an die Frau in Blau, die heute mittag in der vordersten Reihe saß?«
Tate trank den Brandy, den sein Bruder ihm gab, in einem Zug aus und las die Nachricht noch einmal.
»Warum hat sie dir den Umschlag gegeben?«
»Wahrscheinlich weil sie es unkorrekt fand, ihn dir selbst zu übergeben.«
»Unkorrekt?« schnaubte Tate und sah noch einmal auf die sehr eindeutige Formulierung der Nachricht.
Jack fragte amüsiert: »Soll ich raten, was drinsteht?«
»Nein.«
»Du könntest doch einfach annehmen. Das hilft dir vielleicht.«
»Nein. Hast du noch nicht bemerkt, daß ich verheiratet bin? Aber darüber will ich mit dir jetzt nicht diskutieren.«
»Ich weiß nicht, was zwischen dir und Carole los ist. Aber ich weiß, was nicht los ist. Ihr habt schon vor dem Absturz nicht
mehr zusammen geschlafen. Und es gibt keinen Mann, der sich wirklich voll einsetzen kann,
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