Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
konnte nicht glauben, daß er gefunden hatte, wonach er die ganze Zeit gesucht hatte.
Er hatte in der Nacht nur eine Stunde geschlafen, dann einen starken Kaffee getrunken und weitergemacht. Die Zigarettenkippen, der Müll und die Unordnung um ihn herum waren ihm gar nicht aufgefallen. Er war wie besessen gewesen.
Und jetzt erfüllte sich um halb zehn abends seine Mission, als er ein Band betrachtete, das er vor drei Jahren im Staat Washington aufgenommen hatte. Er erinnerte sich nicht einmal mehr an den Namen der Fernsehstation, für die er es gedreht hatte. Aber an den Auftrag erinnerte er sich gut. Seine vier Bänder waren zu einem Fünfminutenbericht zusammengeschnitten worden – jene Sorte, die den Leuten eine Gänsehaut verursachen, die sie aber konsumieren wie Popkorn.
Van sah sich mehrmals die entscheidenden Szenen an, um sicherzugehen, daß er keinen Fehler beging. Dann machte er eine Kopie von dem Band, das die deutlichsten Belege brachte.
Da er es im Originaltempo kopieren mußte, mußte er zwanzig Minuten totschlagen. Er nahm das Telefon und rief im Palacio del Rio an.
Aber sie wollten ihn nicht mit Mrs. Rutledge verbinden, was auch immer er sagte. Er knallte den Hörer auf die Gabel und wählte Irishs Nummer. Aber der hob nicht ab.
Während das Band noch kopiert wurde, ging Van im Zimmer auf und ab und versuchte, sich eine Möglichkeit zu überlegen,
wie er Avery und Irish erreichen konnte. Es war wichtig, daß Avery das Band bekam, aber wie? Wenn er sie nicht einmal anrufen konnte, würde er sie auch auf keinen Fall persönlich erreichen. Sie mußte das Band unbedingt sehen.
Als die Kopie fertig war, hatte er immer noch keine Lösung gefunden. Die einzige Möglichkeit war, Irish ausfindig zu machen. Vielleicht hatte er eine Idee. Aber auch nach einer halben Stunde am Telefon erwischte er seinen Boß nicht. Also beschloß er, das Band zu Irish nach Hause zu bringen und dort zu warten. Das bedeutete, daß er quer durch die Stadt fahren mußte, aber die Sache war verdammt wichtig. Erst auf dem Parkplatz fiel ihm ein, daß sein Auto in der Reparatur war. Was nun?
Das Postfach. Wenn es keine andere Möglichkeit gab, wollten sie sich darüber verständigen. Er steckte das Band in eine Polstertüte und machte sich zu Fuß auf den Weg. Auf dem Briefkasten stand, daß er um Mitternacht geleert wurde, also konnte Irish das Päckchen morgen früh schon haben.
Inzwischen würde er allerdings weiterhin alle fünf Minuten versuchen, Irish zu erreichen. Wo war der Typ bloß? Irgendwann mußte er ja wieder auftauchen. Und dann konnten sie zusammen planen, wie sie Avery am besten mitteilen konnten, daß Rutledges Leben tatsächlich in Gefahr war.
Er kaufte sich ein Sechserpack Bier und machte schon auf dem Heimweg eine Dose auf. Zu Hause zog er seine Jacke aus und kehrte zu seinem Platz an der Videokonsole zurück. Dann sah er sich noch einmal eines der Bänder an, das ihn auf die Lösung des Rätsels gebracht hatte.
Als es halb durchgelaufen war, griff er wieder nach dem Telefon und wählte Irishs Nummer. Es klingelte fünfmal, dann hörte er, wie mit einem Klicken die Verbindung unterbrochen wurde. Er sah schnell zu seinem Telefon und entdeckte eine Hand in einem Handschuh, die auf die Gabel gedrückt hatte.
»Sehr interessant, Mr. Lovejoy«, sagte sein Besucher und nickte zu dem Monitor hinüber. »Ich konnte mich nicht erinnern, wo ich Sie schon einmal gesehen hatte.«
Dann wurde eine Pistole gehoben und aus nächster Nähe auf Vans Stirn abgefeuert.
Irish rannte ins Zimmer und nahm den Hörer beim sechsten Klingeln ab, als am anderen Ende gerade aufgelegt wurde. »Verdammt.« Er war bis jetzt im Nachrichtenraum gewesen, um den höllischen Tag, der das Nachrichtenteam morgen erwartete, vorzubereiten.
Er mochte solche Tage, bekam aber jedesmal schreckliches Sodbrennen dabei. Also trank er einen Schluck von seiner Medizin und hob den Telefonhörer ab. Er rief bei Van an, aber der ging nicht dran. Falls der Junge wieder mal dabei war, sich zu betrinken, würde er ihn umbringen. Er brauchte ihn morgen klar und munter.
Van und ein Reporter sollten dabeisein, wenn die Rutledges morgen in Kerrville wählten und vor dem Palacio del Rio die Ergebnisse abwarteten. Seine Anwesenheit in der Menge würde Avery beruhigen. Er glaubte nicht, daß jemand so dumm sein könnte, am Wahltag ein Attentat auszuführen.
Er hatte schon versucht, Avery anzurufen, aber man hatte ihm gesagt, Mrs. Rutledge fühle sich
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