Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
an einer Infektion stirbt?«
Eddy sah, daß sein Freund drauf und dran war, melancholisch zu werden. Das war weder für Tate persönlich noch für den Wahlkampf gut. Jack hatte schon seine Sorgen über Tates seelischen
Zustand zum Ausdruck gebracht, und Nelson auch. Ein wichtiger Teil von Eddys Arbeit bestand darin, Tates Kampfmoral wiederaufzubauen, wenn er zu zweifeln begann.
»Wie geht es Mandy?« fragte er und ließ seine Stimme fröhlich klingen. »Alle Helfer vermissen sie. Sie wollen sich etwas ganz besonderes ausdenken, um den Tag zu feiern, an dem sie aus dem Krankenhaus entlassen wird. Mach dich darauf gefaßt, daß sie morgen einen Teddybär bekommt, der größer ist als du. Du weißt ja, daß sie die Prinzessin der Wahl ist.«
Eddy wurde mit einem matten Lächeln belohnt. »Die Ärzte sagen, daß ihre gebrochenen Knochen gut heilen. Die Verbrennungen hinterlassen angeblich keine Narben. Sie wird Tennis spielen können, tanzen — alles, was sie will.«
Tate stand auf und holte noch zwei Dosen Bier. Als er wieder im Sessel saß, sagte er: »Körperlich wird sie sich erholen, aber seelisch... da bin ich nicht so sicher.«
»Warte doch erst mal ab. Schon Erwachsene tun sich schwer, mit einem solchen Trauma fertig zu werden. Die Fluggesellschaften haben Spezialisten, die sich nur um Überlebende von Abstürzen kümmern — und um die Familien derer, die nicht überlebt haben.«
»Ich weiß, aber Mandy war ja vorher schon schüchtern. Jetzt ist sie völlig zurückgezogen und in sich gekehrt. Oh, ich kann sie schon zu einem Lächeln bewegen, wenn ich mir viel Mühe gebe, aber ich glaube, sie versucht nur, mir damit einen Gefallen zu tun. Sie hat keinen Antrieb, keinen Schwung. Sie liegt nur da und starrt ins Leere. Mama sagt, daß sie im Schlaf weint und schreiend aus Alpträumen aufwacht.«
»Und was sagt die Psychologin dazu?«
»Diese Kuh«, schimpft Tate. »Sie sagt, daß man Zeit und Geduld haben muß und daß ich nicht zuviel von Mandy erwarten darf. Aber mein kleines Mädchen sitzt nur da und brütet vor sich hin, als trüge sie das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern, aber das ist einfach nicht normal für eine Dreijährige.«
»Aber einen Flugzeugabsturz zu überleben ist auch nicht normal«, stellte Eddy fest. »Ihre seelischen Wunden werden genausowenig über Nacht heilen wie ihre körperlichen.«
»Ich weiß, es ist nur... ach verdammt, Eddy, ich weiß nicht, ob ich es schaffe, das zu sein, was Carole und Mandy und die Wähler brauchen — noch dazu alles gleichzeitig.«
Eddys größte Sorge war, daß Tate seine Entscheidung weiterzumachen vielleicht doch noch revidieren könnte. Als Jack ihm gesagt hatte, daß es bei den Journalisten das Gerücht gäbe, Tate würde eventuell aus dem Rennen ausscheiden, hätte er sich die Klatschreporter am liebsten geschnappt und eigenhändig erwürgt. Glücklicherweise hatte Tate von den Gerüchten noch nichts gehört. Eddy mußte den Kampfgeist des Kandidaten aufrechterhalten.
Er beugte sich vor und sagte: »Kannst du dich erinnern, wie du in unserem letzten Jahr an der Uni bei diesem Tennisturnier gespielt und es für uns gewonnen hast?«
Tate sah ihn ausdruckslos an. »Undeutlich.«
»Undeutlich«, schnaubte Eddy. »Du erinnerst dich nur deshalb undeutlich daran, weil du so verkatert warst. Du hattest das Turnier völlig vergessen und die Nacht davor damit verbracht, Bier zu trinken und eine Kommilitonin zu vernaschen. Ich mußte dich aus ihrem Bett zerren, unter die kalte Dusche stellen und dich bis neun Uhr zum Tennisplatz befördern, um uns vor einer Niederlage zu bewahren.«
Tate kicherte. »Kommt noch eine Pointe?«
»Die Pointe besteht darin«, sagte Eddy und rutschte weiter vor, so daß sein Hinterteil kaum noch die Bettkante berührte, »daß du es geschafft hast, unter den schlimmstmöglichen Umständen, und zwar weil du mußtest. Du warst unsere einzige Chance, und das wußtest du. Du hast das Turnier für uns gewonnen, obwohl du weniger als eine Stunde vor dem ersten Spiel deine geschwollenen Eier massiert und die Sechserpacks Bier nur so in dich reingekippt hattest.«
»Das hier ist aber was anderes als ein Tennisturnier.«
»Aber du«, sagte Eddy und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn, »du bist derselbe geblieben. Solange ich dich kenne, hast du dich jeder Situation gewachsen gezeigt. Während der beiden Jahre, die wir zusammen an der Uni waren, bei der Fliegerausbildung, in Vietnam, als du mich aus diesem
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