Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
merke jetzt erst richtig, wieviel mir daran liegt, als Senator nach Washington zu gehen. Glaubst du wirklich, ich will diesen Traum für zwanzig Minuten Spaß aufs Spiel setzen?«
»Nein, ich schätze nicht«, erwiderte Eddy mit einem bedauernden Seufzen. »Ich dachte nur, ich könnte dir vielleicht helfen.«
Tate stand auf und sah ihn mit einem schrägen Lächeln an. »Als nächstes wirst du noch sagen: Wozu sonst hat man Freunde?«
Eddy kicherte. »Was derart Banales? Du machst wohl Witze.«
Sie machten sich auf den Weg zum Haus. Tate legte einen Arm auf Eddys Schultern. »Du bist ein guter Freund.«
»Danke.«
»Aber in einem Punkt hatte Carole recht.«
»Nämlich?«
»Du bist ein Arschloch.«
Sie lachten und gingen ins Haus.
KAPITEL 14
Avery setzte eine Sonnenbrille auf.
»Ich glaube, es wäre besser, wenn du sie nicht trägst«, meinte Eddy. »Wir wollen doch nicht, daß es aussieht, als wollten wir etwas Unschönes verbergen.«
»Einverstanden.« Sie nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Tasche der rohseidenen Jacke, die zu ihrer in Falten gelegten Hose paßte. »Wie sehe ich aus?« fragte sie Tate.
Eddy streckte seinen Daumen nach oben. »Umwerfend.«
Zusammen verließen sie das Zimmer und gingen den Flur entlang zum Ausgang. Sie hatten sich schon von den Krankenschwestern verabschiedet, die ihnen noch »Viel Glück« nachriefen.
»Ein Wagen mit Chauffeur?« fragte Avery, als sie die getönte Glasfront des Gebäudes erreicht hatten. Die Horde von Reportern konnte Avery nicht sehen, aber für sie war die Scheibe durchsichtig. Eine schwarze Cadillaclimousine stand am Straßenrand, daneben ein uniformierter Chauffeur.
»Damit wir beide dich beschützen können«, erklärte Eddy.
»Wovor?«
»Vor der Menge. Der Fahrer hat deine Sachen schon im Kofferraum verstaut. Geh zum Mikrofon, sage, was du zu sagen hast, weise höflich weitere Fragen zurück und geh zum Auto.«
Er sah sie einen Augenblick an, als wolle er sichergehen, daß sie verstanden hatte, dann wandte er sich an Tate. »Du kannst ein paar Fragen beantworten, wenn du willst. Mach es davon abhängig, wie nett sie sind. Solange die Stimmung angenehm bleibt, kannst du soviel wie möglich daraus machen. Wenn es ungemütlich wird, gebrauche Carole als Ausrede und hör auf. Fertig?«
Er ging voraus, um ihnen die Tür zu öffnen. Avery sah zu Tate auf. »Wie kannst du nur seine herrische Art ertragen?«
»Dafür wird er schließlich bezahlt.«
Sie nahm sich vor, Eddy nicht mehr vor Tate zu kritisieren. In Tates Einschätzung war sein Wahlkampfleiter über jeden Zweifel erhaben.
Eddy hielt ihnen die Tür auf. Tate griff nach Caroles Ellbogen und drängte sie sanft voran. Die Reporter und Fotografen waren noch vor wenigen Augenblicken eine schreiende, wimmelnde Masse gewesen. Jetzt senkte sich erwartungsvolles Schweigen über sie, während sie darauf warteten, daß die Frau des Bewerbers um den Senatorenposten nach monatelanger Abgeschiedenheit wieder in der Öffentlichkeit erschien.
Avery ging von der Tür direkt zum Mikrofon, wie Eddy es ihr aufgetragen hatte. Sie sah aus wie Carole Rutledge. Das wußte sie. Es war erstaunlich, daß nicht einmal die nächsten Angehörigen oder ihr Mann etwas bemerkt hatten.
Aber als sich Avery dem Mikrofon näherte, hatte sie Angst, ein Fremder könnte vielleicht entdecken, was bisher niemandem aufgefallen war. Jemand würde sich vielleicht über die Menge erheben, mit einem anklagenden Finger auf sie zeigen und rufen: »Betrügerin!«
Der plötzlich losbrechende Applaus kam völlig unerwartet für sie. Er überraschte aber nicht nur sie, sondern auch Tate und sogar Eddy, der immer Fassung bewahrte. Ihre Schritte wurden langsamer. Sie sah unsicher zu Tate auf, und er lächelte sie mit jenem charmanten klassisch-amerikanischen Heldenlächeln an. Schon das allein wäre all ihre Sorgen und Schmerzen wert gewesen. Und es baute ihr Selbstbewußtsein unglaublich auf.
Sie bat mit einer anmutigen Geste um Ruhe. Als der Applaus verstummte, bedankte sie sich schüchtern. Dann räusperte sie sich und begann ihre kurze vorbereitete Rede.
»Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, daß Sie mich nach meinem langen Krankenhausaufenthalt so herzlich willkommen heißen. Ich möchte all jenen öffentlich mein Beileid aussprechen, die einen ihrer Lieben bei dem schrecklichen Absturz des AireAmerica-Fluges 398 verloren haben. Es ist für mich
immer noch kaum zu glauben, daß meine Tochter und ich diesen
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