Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
geschlagen, selbst in den nicht geplanten Passagen. Eine nette Idee, so nach Tates Hand zu greifen. Was meinst du, Tate?«
Tate löste seine Krawatte und knöpfte den Kragen auf. »Hat sie prima gemacht.« Er zeigte mit dem Finger auf Eddy. »Aber diese Fragen über Mandy gefallen mir nicht. Was könnte sie mit meinem Wahlkampf oder der Wahl zu tun haben?«
»Nichts. Die Leute sind nur neugierig.«
»Scheiß Neugierde. Sie ist meine Tochter. Ich will, daß sie von allem ferngehalten wird.«
»Vielleicht ist sie zu sehr ferngehalten.« Averys rauchige Stimme zog Tates Aufmerksamkeit plötzlich auf sich.
»Was soll das heißen?«
»Jetzt, wo sie mich gesehen haben«, sagte sie, »werden sie aufhören, dir Fragen über mich zu stellen, und sich auf das Wesentliche beschränken.«
Während ihrer Genesung hatte sie den Erfolg seiner Kampagne genau anhand jeder erhältlichen Zeitung und der Fernsehnachrichten nachvollzogen. Er hatte den ersten Wahlgang im Sturm genommen, aber die eigentliche Schlacht stand ihm noch bevor. Sein Gegner im November war der amtierende Senator Rory Dekker.
Und Dekker war eine Institution in der texanischen Politik. Solange Avery sich erinnern konnte, war er schon Senator. Es würde ein Kampf David gegen Goliath werden.
In fast jeder Nachrichtensendung wurde mindestens fünfzehn Sekunden über den Wahlkampf berichtet, und wie Avery wohl wußte, waren fünfzehn Sekunden eine beneidenswert lange Zeit. Doch während Dekker klugerweise seine Zeit dazu nutzte, seinen
politischen Standpunkt zu festigen, war Tates wertvolle Zeit zu oft mit Fragen nach Caroles Gesundheitszustand verschwendet worden.
»Wenn wir Mandy nicht so gut unter Verschluß halten«, sagte sie vorsichtig, »wird die Neugierde der Presse in bezug auf sie bald nachlassen. Möglicherweise interessieren sie sich dann für etwas anderes, wie zum Beispiel für deine Agrarreformen.«
»Da hat sie vielleicht recht, Tate.« Eddy betrachtete sie mißtrauisch, aber mit so etwas wie widerwilligem Respekt.
Tates Gesichtsausdruck zeigte eine Mischung aus Ärger und Unentschlossenheit. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er und starrte aus dem Fenster.
Sie fuhren schweigend bis zur Wahlkampfzentrale. Eddy sagte: »Alle möchten dich gern sehen, Carole. Ich habe sie gebeten, dich nicht so anzuglotzen, aber ich kann nicht dafür garantieren, daß das klappt. Es wäre wirklich nett von dir, wenn du noch ein wenig bleiben könntest.«
»Ja, das tut sie.« Tate ließ ihre keine Wahl, nahm ihren Arm und schob sie auf die Tür zu.
Seine bestimmende Art ließ ihr die Haare zu Berge stehen, aber sie wollte auch gern sehen, wie es in der Wahlkampfzentrale aussah, also ging sie ohne Protest mit. Je näher sie der Tür kamen, desto flauer wurde allerdings ihr Gefühl im Magen. Jede neue Situation war eine Prüfung für sie — wie ein Minenfeld, durch das sie mit angehaltenem Atem steuern mußte, um nur ja keine falsche Bewegung zu machen.
Hinter der Tür befand sich ein Raum, der im totalen Chaos versank. Die freiwilligen Mitarbeiter nahmen Anrufe entgegen, verschlossen Briefumschläge, öffneten Briefumschläge, stapelten und sortierten Papiere, standen auf, setzten sich hin. Alle waren in Bewegung. Nach der Stille und Ernsthaftigkeit der Klinik fühlte sich Avery, als wäre sie gerade in ein Affenhaus gebracht worden.
Tate zog die Jacke aus und krempelte sich die Ärmel hoch. Als er erschien, hielten alle inne, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Es war offensichtlich, daß jeder im Raum zu ihm aufsah wie zu einem Helden und ihm völlig ergeben war.
Ihr wurde auch klar, daß hier Eddy Paschals Wort Gesetz war, denn die Freiwilligen sahen sie zwar flüchtig an und begrüßten sie höflich, aber niemand starrte sie neugierig an. Avery fühlte sich unbehaglich, weil sie nicht wußte, was man von ihr erwartete. Sie folgte Tate, während er durchs Zimmer ging. Hier war er ganz in seinem Element und strahlte Selbstvertrauen aus.
»Guten Tag, Mrs. Rutledge«, sagte ein junger Mann zu ihr, »Sie sehen wirklich hervorragend aus.«
»Vielen Dank.«
»Tate, heute morgen hat der Gouverneur einen offenen Brief mit besten Wünschen zur Mrs. Rutledges Genesung geschickt. Er hat ihr Mut zugesprochen, aber dich in etwa einen verdammten Liberalen genannt, bei dem die Texaner Vorsicht walten lassen müssen. Er warnte die Wähler, sich durch ihre Sympathie für Mrs. Rutledge nicht im November in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen zu lassen. Wie
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