Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit dem Verkehr zu. Avery, die sich ausgeschlossen fühlte, fragte: »Was ist mit Mrs. Baker? Was habe ich falsch gemacht?«
»Sie arbeitet erst seit zwei Wochen für uns. Du bist ihr noch nie begegnet.«
Averys Herz pochte wild. So etwas mußte ja passieren. Sie würde immer wieder solche Fehler machen, für die sie sich schnell eine Erklärung einfallen lassen mußte.
Sie senkte den Kopf und rief sich mit zwei Fingern die Schläfen. »Entschuldige, Tate. Ich habe mich wahrscheinlich sehr seltsam benommen.«
»Stimmt.«
»Du mußt Geduld mit mir haben. Das eigentliche Problem ist, daß ich mich gelegentlich an Dinge nicht erinnern kann. Manchmal komme ich im Ablauf der Ereignisse durcheinander und entsinne mich nicht an Leute oder Orte.«
»Das ist mir schon vor ein paar Wochen aufgefallen. Manche Dinge, die du sagst, ergeben keinen Sinn.«
»Warum hast du nichts erwähnt, als es dir zum ersten Mal aufgefallen ist?«
»Ich wollte dich nicht beunruhigen, aber ich habe den Neurologen deswegen befragt. Er meint, daß deine Gehirnerschütterung wahrscheinlich einen Teil deines Erinnerungsvermögens beeinflußt hat.«
»Für immer?«
Er zuckte mit den Schultern. »Dazu konnte er nichts sagen. Vielleicht kommt die Erinnerung Stück für Stück zurück, vielleicht bleibt manches aber auch endgültig verloren.«
Im stillen war Avery froh über die Prognose des Neurologen. Wenn sie einen Fehler beging, konnte sie ihre Erinnerungsschwäche als Grund vorschieben.
Sie streckte ihre Hand aus und legte sie auf Tates. »Es tut mir leid, wenn ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe.«
Er zog seine Hand unter der ihren hervor und legte sie ans Steuerrad. Avery achtete genau auf die Route, die sie fuhren. Schließlich würde sie irgendwann ihren Heimweg allein finden müssen.
Sie stammte aus einer Stadt im Norden von Texas und hatte ihre Kindheit im wesentlichen in Dallas verbracht, wo Cliff Daniels als freier Fotojournalist gearbeitet hatte.
Wie die meisten Texaner war sie sehr stolz auf ihre Herkunft, und obwohl sie Hunderte von Dollars auf Sprechunterricht verwendet hatte, um ihren Dialekt loszuwerden, war sie im Grunde ihres Herzens doch ganz Texanerin. Das Hügelland war immer eine ihrer Lieblingsgegenden gewesen. Die sanft geschwungenen Hügel waren zu jeder Jahreszeit schön.
Jetzt standen die blauen Skabiosen in voller Blüte und bedeckten den Boden wie ein saphirfarbener Schleier. Riesige Felsen ragten aus der Erde hervor wie schiefe Backenzähne.
Diese Gegend war voller Leidenschaft — hier hatten die spanischen Dons ihre Reiche gehabt, Komanschenkrieger Mustangherden gejagt und die Kolonisten ihr Blut vergossen, um unabhängig zu werden. Das Land schien zu pulsieren im Geiste jener unbesiegbaren Völker, die es bewohnbar gemacht, aber niemals gezähmt hatten. Ihre wilden, unabhängigen Seelen schienen noch geblieben zu sein, wie die Wildkatzen, die in den Höhlen der Umgebung lebten, unsichtbar, aber doch vorhanden. Es war ein Land voller Kontraste und Traditionen. Avery liebte es.
Offensichtlich auch Tate. Beim Fahren betrachtete er zufrieden die Landschaft, als sähe er sie zum ersten Mal. Er bog in eine Straße ab, deren Einfahrt von zwei Felssäulen gesäumt wurde. Dazwischen hing ein schmiedeeisernes Schild mit der Aufschrift >Rocking R Ranch<.
Aus den Artikeln über die Familie Rutledge, die Avery heimlich während ihrer Genesungszeit gelesen hatte, wußte sie, daß die Ranch mehr als fünftausend Morgen umfaßte und eine eindrucksvolle Herde von Zuchtvieh beherbergte. Zwei Nebenarme des Guadelupe und einer des Blanco versorgten die Weiden mit Wasser.
Nelson hatte das Land von seinem Vater geerbt. Seit er den Dienst bei der Luftwaffe quittiert hatte, beschäftigte er sich mit dem Aufbau der Ranch und machte sie zu einem gewinnträchtigen Unternehmen.
In einem Artikel der Zeitschrift Texas Monthly war auch ein Bild des Hauses gewesen, aber Avery hatte sich unter dem Foto nicht sehr viel vorstellen können.
Jetzt, als sie über eine Anhöhe fuhren, sah sie es in der Ferne
liegen. Es war aus weißen Luftziegeln erbaut wie eine spanische Hacienda, mit drei Flügeln, die hufeisenförmig um einen Innenhof angeordnet waren. Von der Mitte aus hatte man einen phantastischen Blick über das Tal und den Fluß dahinter. Das weitläufige Haus war mit roten Dachziegeln gedeckt, die jetzt die Mittagssonne spiegelten.
Die Auffahrt endete in einem Bogen vor dem Haupteingang. Eine majestätische
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