Trugschluss
Aufzeichnungen von Telefonaten,
schonungslos veröffentlicht.« Willing war insgeheim mit sich und seinen Lügen
zufrieden. Irgendwie hatte sich der Gesichtsausdruck dieser Frau verändert.
»Ich persönlich bin davon überzeugt, dass
die Fäden hier oben auf der kargen Alb zusammenlaufen«, trumpfte er auf. »Das
hat alles schon vor fast vier Jahren begonnen.«
Die Frau schien blass zu werden. Der
Kontrast zu den schwarzen Haaren kam deutlicher zum Ausdruck.
»Damals wurde dort drüben«, er deutete mit
dem Kopf in die entsprechende Richtung, »dort, bei dem Antennenmast eine
verkohlte Leiche gefunden.« Er hielt kurz inne. »Und ich, ich hab da was
gesehen. Etwas, wofür es keine vernünftige Erklärung gibt. Selbst die Polizei
hat sich daran die Zähne ausgebissen.« Er sprach nicht mehr weiter.
»Und … was war das?«, erkundigte sich die
Frau vorsichtig.
Er schüttelte mit dem Kopf. »Das möcht ich
Ihnen nicht verraten. Jetzt hab ich Ihnen schon genug gesagt.« Willing stand
auf und machte damit deutlich, dass er die Besucherin verabschieden wolle. Sie
knüpfte ihre Jacke zu, warf sich die Tasche über die Schulter und erhob sich
ebenfalls.
»Es war mir ein Vergnügen«, lächelte
Willing und reichte ihr die Hand. »Sagen Sie Ihren Auftraggebern einen schönen
Gruß.«
Die Frau versuchte ebenfalls ein Lächeln. »Ich
melde mich wieder«, kündigte sie an und ging voraus zur Tür, die sie öffnete.
Draußen in der Werkstatt war’s deutlich kühler. Während sie sich einen Weg
durch die Apparate und Geräte suchte, rief ihr Willing hinterher: »Und richten
Sie Ihren Auftraggebern aus: Wir lassen uns nicht einschüchtern.« Er lächelte
zufrieden.
52
Als ob er nichts Wichtigeres zu tun hätte, als mit Bruhn zu
sprechen, dachte Häberle, als er sich im nachmittäglichen Berufsverkehr über
die permanent überlastete B 10 nach Göppingen quälte. Die Scheibenwischer
sorgten bei diesem Nieselregen für einigermaßen klare Sicht, die Scheinwerfer
brannten. Es dämmerte bereits. Der Kommissar stellte sich auf über 30 rote
Ampeln ein – und dies auf einer Strecke von gerade mal 20 Kilometern. Nirgendwo
in Deutschland, so hatte er jedes Mal den Eindruck, waren in einer eher
provinziellen Gegend so viele Ampeln aufgestellt, wie hier. Er gewann zunehmend
den Eindruck, dass sich die Gemeinden, die über eine fehlende Umgehungsstraße
klagten, so ihre Staus selbst bescherten.
Häberle hatte deshalb genügend Zeit, noch
einmal über die komplexen Zusammenhänge dieses merkwürdigen Falles
nachzudenken. Offenbar gab es zwischen diesem Brummton und dem Verschwinden
Blühms tatsächlich eine Verbindung. Und wenn dies so war, dann lief da im
Hintergrund womöglich wirklich etwas ab, das höchster Geheimhaltung unterlag.
Das seltsame Verhalten des Ex-Verfassungsschützers Bönsch hatte Häberle nicht
mehr losgelassen. Und dann war da noch der Tod dieses Kirchners, von dem ihm
Sander weismachen wollte, dies sei wohl jener gewesen, der sich bei Steinbach
in Blaubeuren anonym gemeldet und dort Einsteins Relativitätstheorie in den
Briefkasten geworfen hatte.
Häberle fuhr vor das Metalltor der
Polizeidirektion, das automatisch zur Seite rollte. Irgendjemand hatte über die
Videokamera das Auto des Kommissars erkannt und geöffnet. Weil, wie immer, alle
Parkplätze belegt waren, stellte er den Wagen vor den Garagen der Dienstfahrzeuge
ab und ging durch die Kälte und Dämmerung des Spätnachmittags zum Gebäude der
Kriminalpolizei hinüber. Er tippte den Code in den Türöffner und stieg im
schlichten Treppenhaus zu Bruhns Büro hinauf.
Die blonde Sekretärin, deren Büro-Tür
offen stand, lächelte ihm zu und begrüßte ihn. Dann wurde sie sogleich
dienstlich: »Der Chef erwartet Sie.«
Häberle ging zu der Nebentür, klopfte und
trat ein, als er ein unwirsch klingendes »Ja«, vernahm.
Bruhn brütete an seinem Schreibtisch über
Akten, seine Glatze glänzte, sein schmaler Haarkranz schien immer dünner zu
werden.
»Nehmen Sie Platz«, brummelte er, ohne
aufzusehen. Er blätterte in verschiedenen Dokumenten und hob einzelne Passagen
mit dem Markierstift hervor.
Häberle setzte sich an den weißen Besprechungstisch,
über dem ein Luftbild von Göppingen hing. In einer Ecke darbte ein Philodendron
mit gelblichen Blättern vor sich hin. Auf Bruhns Schreibtisch lagen
ungewöhnlich viele Ordner, wie Häberle sofort zur Kenntnis nahm. Normalerweise
waren Chef-Schreibtische nämlich blitzblank und erweckten nicht
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