Trust Me - Blutiges Grauen
ging mit zittrigen Knien zurück zum Bett, nahm die Decke, die sie eben schnell fallen gelassen hatte, mit spitzen Fingern wieder hoch und zog sie weiter herunter. Sie wollte nicht mit Noahs Blut in Berührung kommen. Sie fürchtete, dass es noch warm war. Das hier konnte erst vor Kurzem passiert sein. Alles sah noch so frisch aus, es
roch
sogar frisch.
Noah lag auf der Seite, mit dem Gesicht zu ihr. Es war ein Rätsel, wie Oliver seinen Bruder in das Bett bekommen hatte, da Noah viel größer war. Aber er lag in einer merkwürdig verdrehten Position. Oliver musste ihn irgendwie ins Schlafzimmer gelockt und dann, während er nichts ahnte, erstochen haben. Als Jane sich vorlehnte, konnte sie die Einstiche in seinem Rücken sehen. Es mussten mindestens fünfzehn oder zwanzig Wunden sein. Als wenn Oliver seinen Bruder gehasst hätte …
Sie stand eine Weile zitternd da. Dann sagte sie sich, sie müsste das Messer suchen. Von der Gerichtsverhandlung wusste sie noch, dass die Tatwaffe wichtig war. Aber sie konnte nicht hinsehen. Sie begann zu würgen. Zuerst war es nur ein trockener Brechreiz, aber dann stieg die gallenbittere Flüssigkeit in ihre Kehle, und sie musste ihren Magen auf dem Teppich entleeren.
Oliver hatte Noah ermordet. Genauso wie er diese Frauen am American River getötet hatte. Detective Willis hatte ihr von den Frauen erzählt. Sie waren vergewaltigt worden, bevor man sie umgebracht hatte. Ihnen war die Kehle durchgeschnitten worden, es waren keine Stiche im Rücken gewesen. Aber sie waren genauso durch Olivers Hand gestorben.
Diese Brutalität –
die Realität
– drehte ihr den Magen um.
“Mom? Was ist denn passiert?”
Kates Stimme kam aus dem vorderen Zimmer. Sie war aus dem Wagen gestiegen und hatte das Chaos entdeckt.
Jane stakste zur Wand, wo sie sich erst einmal abstützen musste. Dann holte sie ein paarmal tief Luft und wappnete sich, kämpfte gegen die Übelkeit an, die wieder in ihr hochstieg. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter sah, was im Schlafzimmer passiert war. Sie wollte nicht, dass Kate erfuhr, wie brutal ihr Vater sein konnte.
“Bleib … bleib bitte da, wo du bist, Kate!” Ihre schwache Stimme verriet, wie zittrig sie sich fühlte. Aus ihrem ganzen Körper war sämtliche Kraft gewichen. Aber sie schaffte es, das Schlafzimmer zu verlassen und in die Diele zu gehen. “Ich komme.”
“Wo ist Daddy? Ist Daddy krank?”
“Nein, er … Ihm … geht es gut.” Jane stakste den Flur entlang und musste erst einmal nach Atem ringen. Sie konnte sich mit den weichen Knien kaum aufrecht halten. Aber sie wusste, sie musste etwas tun, und zwar sofort. Dabei konnte sie überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. Erinnerungsfetzen schwirrten ihr durch den Kopf: Noah, der ihr sagte, dass er sie liebte; Olivers Anrufe aus dem Gefängnis; wie sie in Olivers Zimmer im Krankenhaus stand; das Gespräch mit Detective Willis vor dem Friseursalon; wie sie Skye im Fernsehen sah, die härtere Gesetze gegen Gewaltverbrecher forderte; das Blut auf dem Laken des Bettes, in dem sie mit dem Mann gelegen hatte, der jetzt tot war.
Und
mit dem Mann, der ihn getötet hatte …
“Mommy?” Kate kam auf sie zu gelaufen. “Ist dir schlecht?”
Jane brachte ein zittriges Lächeln zustande, dankbar für die kleine Unterstützung ihrer Tochter, als diese ihr die dünnen Ärmchen um die Taille schlang.
“Wo ist Daddy?”
“Weggegangen.” Zumindest der Mann, den sie kannte, war nicht mehr da. Vielleicht hatte er ja auch nie existiert. Womöglich war er lediglich eine Projektion dessen, was sie sich gewünscht hatte. Der wahre Oliver Burke hatte sich in dieser freundlichen, zurückhaltenden Schale verborgen. Er hatte auf diese Weise fast alle für dumm verkauft, er hatte
sie
jahrelang getäuscht.
Kate sah sie verwirrt an. “Aber sein Auto ist hier.”
“Er muss wohl Noahs Wagen genommen haben.” Die Erwähnung von Noah brachte ihr sofort wieder den Anblick in Erinnerung, der sich ihr gerade im Schlafzimmer geboten hatte. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht wieder zu würgen. Jane schluckte mühsam, presste die Lider zusammen und gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Sie konzentrierte sich darauf, dass ihre Tochter gesund und am Leben war. “Wir müssen gehen.”
Bevor dein Vater zurückkommt
…
“Aber wir sind doch gerade erst nach Hause gekommen! Ich will mit Lara spielen!”
Die Verwirrtheit und Angst in Kates Gesicht halfen Jane, sich zusammenzureißen. Sie wusste, sie war nicht
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