Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
in ihrem Haar. Dann schoben wir uns gleichzeitig voneinander weg, grinsten uns mit nassen Augen verständnisinnig an und lachten.
Linda fiel aus allen Wolken und starrte Grace mit offenem Mund nach, als diese wieder ins Esszimmer ging.
„Das...äh…mit deinem … Zimmer hat sich geklärt?“, stotterte sie.
„O ja“, antwortete ich befreit, „das hat sich vollständig geklärt.“
XX / 2009 Alles, was zählt.
Immer schon hatte er von sich behauptet, dass er alles, was er sich je in seinem Leben vorgenommen hatte, erreicht hatte. Alles. Fast alles.
„Weitblick, mein Sohn“, er hatte diese Worte noch immer im Ohr, „...Weitblick und Geduld. Weitblick und Geduld. Handle so, dass niemand deine Gedankenstränge zurückverfolgen kann. Handle mit dem Gedanken an die Ewigkeit. Fange heute an zu spinnen und du hast irgendwann ein Tuch. Und niemand bringt dich mit den ersten Fäden in Verbindung.“
Weise Worte, die er assimiliert hatte, die sein Credo waren und die ihn zu dem gemacht hatten, was er heute darstellte. Mächtig. Allumfassend. Der Mann, in dessen Hand alle Fäden zusammen liefen. Der an einem Faden zupfen konnte und alles bewegte sich. Der Fäden zerreißen, zerschneiden konnte, wenn er den, der am anderen Ende hing, in die Hölle befördern wollte. Wie lange hatte er schon an seinem Tuch gesponnen! Es war ein nahezu perfektes Tuch. Eines, das die ganze Welt abdeckte. Eines, hinter dem niemand ihn vermuten und erkennen konnte. Wenn er wollte, dass etwas passierte, dann passierte es. Wenn er wollte, dass etwas eine bestimmte Richtung nahm, dann war das so. Wenn er das Schicksal eines Menschen beeinflussen wollte, tat er es. Er war gottgleich. Er war groß.
Und allen, allen, die sich ihm widersetzten, ging es schlecht. Zu riesig war sein Netz, zu mächtig seine Kontakte, zu viele waren von ihm abhängig.
Das war sein Adrenalin, sein Glücksgefühl. Das war sein Liebesersatz. Er stak genauso in der Bedürfnispyramide wie jeder andere auch. Er wusste es nur nicht. Und es interessierte ihn auch nicht. Doch die Folgen seines Tuns musste auch er tragen – früher oder später.
D ie Tage nach Michaels Zusammenbruch waren von Behutsamkeit geprägt. Es lag ein Schmerz in der Luft, der wie Nebelschwaden in den Räumen hing. Alle bewegten sich eigenartig achtsam, als ob sie diese Schwaden nicht aufscheuchen wollten.
Selbst die Kinder spielten leiser als sonst und Paris, die intuitiv die Situation ergriff, flüsterte zuweilen sogar, obwohl das gar nicht nötig war.
Es war eine merkwürdige Stimmung.
Michael lag in seinem Zimmer. Er wollte allein sein. Die ersten Tage hatte er viel geschlafen, zu unserer aller Freude, doch dann war seine Unruhe wieder gekommen. Wir hörten ihn laufen. Auf und ab, auf und ab. Schritte tagsüber, nachtsüber. Er blieb Tage in seinem Zimmer, aß wenig, ließ sich nicht blicken. Redete mit niemandem, noch nicht einmal mit seinen Kindern. Manchmal sah mich Grace beunruhigt an. Und ich schaute genauso beunruhigt zurück.
XX/ 2008 es reicht nicht
„Du hast die Kinder vergessen.“ Trocken, kratzig.
„Nicht vergessen. Nur nicht für nötig…“
„Es war so angeordnet.“ Er blickte kurz hoch. Ein Blick aus toten Augen. Aus unguten Augen. Dem, der immer zuhörte und so lange schon Befehle entgegen genommen hatte, kam ein anderes Augenpaar in den Sinn. Er versuchte vehement, es zu verscheuchen, doch hartnäckig hielt es seine Sinne besetzt. Ein paar wunde, große Augen voller Leben und Intensität und Leid. Leid, das er zugefügt hatte. Dessen Weg er geebnet hatte. Und immer wieder ebnen würde. Sollte. Kurz schlug er die Augen nieder, um sich nicht zu verraten. Und war sich nicht sicher, ob er es nicht schon längst getan hatte.
***
„Grace?“
Sie drehte sich um. „Mike!“
„Wie…wie geht es den Kindern?“
Michael stand vor ihr im Pyjama. Er war ungeschminkt, sein Haar verstrubbelt. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der gerade aus dem Bett gekrabbelt war. Unwillkürlich erschien ein zärtliches Lächeln auf Graces Gesicht.
„Es geht ihnen gut, Mike“, antwortete sie warm. „Sie fragen natürlich nach dir.“
Wie immer stellte er seine Frage stumm. Grace verstand ihn.
„Nein, natürlich nicht. Das hätten sie nicht verstehen können. Wir haben ihnen gesagt, du hast Grippe und willst sie nicht anstecken.“
Beide standen sie sich in drei Metern Abstand gegenüber. Sie standen, schwiegen und sahen sich in die Augen. Dann liefen sie gleichzeitig los und
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