TS 16: Einer von Dreihundert
nach der Landung nachdenken, Jim“, sagte ich. „Im Moment behalte solche interessanten Fragen bitte für dich.“
„Wieviel Zeit haben wir noch?“ fragte Sammy.
„Zeit genug, glaube ich, aber es ist besser, wir fangen jetzt an, uns gegenseitig einzuwickeln. Vielleicht haben wir weniger Zeit, als ich denke.“
Das Imprexband ist speziell für diesen Zweck entwickelt worden. Es haftet nur an sich selber und kann leicht abgerissen werden, solange es nicht belastet wird. Es ist elastisch und gleicht die Beanspruchungen über seine ganze Länge aus. Es gibt kein besseres Mittel, um den Muskeln bei der Beschleunigung und Verzögerung Halt zu geben.
Ich wartete im Kontrollraum, während Leslie den anderen half, und kam dann zurück, um sie selber einzuwickeln. Es war das erste Mal, daß ich etwas Besonderes für Leslie tat. Ich wollte sicher sein, daß sie so gut wie möglich gegen die Beanspruchung geschützt war.
Sie wollte gern bei mir im Kontrollraum sein, aber wir konnten ihre Couch nicht verrücken. Ich umwickelte sie sehr sorgfältig, fühlte immer wieder vorsichtig an dem Imprexband und nahm es wieder ab, wenn es nur ein wenig zu fest oder zu locker saß.
„Die anderen sind alle nicht so gut eingewickelt“, flüsterte Leslie. „Soll ich nicht …?“
„Es macht nicht so sehr viel aus“, sagte ich. „Aber wenn ich für euch alle eine gewisse Verantwortung trage, so habe ich doch wohl eine ganz besondere Verantwortung für meine Frau.“
Nun konnte man den Mars nicht mehr sehen. Er war unter unseren Düsen, als das Schiff fiel. Ich ließ es fallen.
Auf dem Mars herrscht ein Luftdruck von einer knappen halben Atmosphäre – genug für eine Welt, in der das Leben keine großen Anstrengungen erfordert. Da die Lufthülle erst viel näher an der Marsoberfläche anfing, war mein Höhenmesser unbrauchbar. Ich wußte nicht, konnte nicht wissen, wie hoch wir über dem Mars waren. Meine Berechnungen stützten sich auf eine konstante Geschwindigkeit und auf die Marsmonde Phobos und Deimos, die ich sehen konnte.
Ich hatte die ganze Zeit gewußt, daß es so sein würde – eine zu kurze Brennzeit, die zu spät begann. Keine dramatische Rettung war in letzter Minute gekommen. Keiner von uns hatte aus einer Schuhsohle und zwei Haarnadeln ein Supertriebwerk konstruieren können, und leider hatten wir auch keinen Amateur-Einstein unter uns, der auf einem alten Briefumschlag eine Landemethode ausarbeiten konnte, für die man überhaupt keinen Kraftstoff brauchte.
Weit von solchen Möglichkeiten entfernt, saß ich da, meine Hand über dem Brennknopf, und wartete, bis ich den Augenblick für gekommen hielt, ihn niederzudrücken.
Ich habe Menschen gekannt, die sich, selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel stand, auf ihren Instinkt für den richtigen Augenblick verließen. Sie taten es, weil es ihnen half. Ich tat es, weil ich mußte.
Jetzt, dachte ich, und schloß den Schalter. Es gab kein Geräusch. Draußen war ja nichts, gegen das der Strahl hätte andonnern können.
Aber in dem Chaos von Schmerz und Qual, das nun folgte, dachte ich nicht an das fehlende Geräusch. Es war viel schlimmer als erwartet, schlimmer, als ich es mir hatte vorstellen können. Meine Zähne schmerzten, mein Leib schien zu brennen, meine Haut schien mir in Stücken vom Leibe gerissen zu werden. Ich dachte mit keinem Gedanken an die anderen, die unten das Gleiche durchmachten. Es gibt einen Punkt, wo nichts als der eigene Schmerz zu existieren scheint – er löscht alles andere aus.
Zuerst klammerte ich mich an den Gedanken, es könne ja nicht lange dauern. Aber das gab ich bald auf. Bevor ich den Strahl eingeschaltet hatte, waren mir ein paar Sekunden nicht mehr als ein Atemzug gewesen. Jetzt war jeder Moment eine Ewigkeit der Qual.
Ich betete wahrhaftig, daß die letzten Kraftstoffreste zu Ende gehen und die Verzögerung aufhören möge. Anstatt mehr Kraftstoff, wünschte ich mir weniger, damit die Qual ein Ende nähme.
Ich bereitete mich auf den schrecklichen Moment der Hilflosigkeit vor, an den ich die ganze Reise über gedacht hatte – den Moment, wenn der Strahl stoppte und das Schiff weiterflog, ohne daß ich etwas machen konnte. Ich fürchtete ihn und sehnte ihn gleichzeitig herbei. Als die Zeiger den Nullpunkt erreichten, hatte mein Wunsch, die Qual möge enden, fast die Oberhand gewonnen, und ich versuchte, dankbar aufzuatmen.
Aber der Moment kam nicht, denn obwohl die Instrumente das Ende des Kraftstoffvorrats anzeigten,
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