TS 16: Einer von Dreihundert
ging der Strahl weiter.
Ich blickte noch einmal auf die Instrumente in der Annahme, ich hätte mich unter der Einwirkung der Schmerzen verkalkuliert. Es war keine einfache Ablesung von 30 – 20 – 10 – 0, sondern man mußte die tatsächlich vorhandene Kraftstoffmenge aus zwei oder drei Werten berechnen. Aber ich hatte mich nicht geirrt. Es war kein Kraftstoff mehr da.
Und doch arbeitete das Triebwerk weiter.
Wir hatten also eine Sicherheitsreserve. Vielleicht hatten wir sogar genügend Kraftstoff! In einem einzigen Moment durchlebte ich alle Empfindungen, die ich je kennengelernt hatte: Wilde Hoffnung, daß wir trotz allem in Sicherheit wären; Wut, daß man uns überlistet hatte;. ein apathischer Wunsch, abzustürzen und zu sterben, Elend, Selbstbemitleidung, Bedauern, Abscheu und Angst.
Alles in mir wurde ausgequetscht. Ich war wie eine Orgel, bei der alle Register gezogen sind und alle Töne in einer schmetternden Kakophonie durcheinanderbrüllen. Ich fühlte, daß, wenn ich dies überstand, jeder Schrecken in meinem späteren Leben ein blasser Schatten sein werde gegen dies – aber den Gedanken verdrängte die leidenschaftliche Überzeugung, daß niemand und nichts dies überleben könne. Ich war tot, wir waren alle tot, wanden uns in letzter Agonie wie ein zertretenes Insekt.
Und dann kam unerwartet eine wunderbare Erlösung. Ich konnte wieder denken. War das Vorhandensein des zusätzlichen Kraftstoffs ein reiner Zufall, die Folge eines Irrtums, oder war es eine absichtlich verborgen gehaltene Reserve, die jedes Rettungsschiff mitführte, um das Unmögliche gerade eben möglich zu machen? Ich konnte an Leslie denken und inbrünstig hoffen, daß Mary Stowes Geschick nicht auch das ihre sein möge. Ich konnte staunen, daß unsere Düsenfutter die Beanspruchung aushielten. Ich konnte mir frohlockend vorstellen, daß ich vielleicht doch noch Sammy würde fragen können, ob wir Glückspilze seien oder nicht.
Und gerade als mir klar wurde, daß unsere Chance von eins zu tausend bis zum Zerplatzen angeschwollen war, stürzten wir ab. Als ich von meiner Couch abprallte, als wäre ich aus großer Höhe auf sie gefallen, und die Instrumente vor mir mit meinem Gesicht zerschmetterte, konnte ich nur den einzigen Gedanken fassen, daß wir unten waren.
Als ich wieder zu mir kam, überfloß mich ein Gefühl von Frieden und Erleichterung.
Ich konnte selbst durch meine geschlossenen Augenlider und durch den Verband hindurch Licht sehen. Es mußte also hell sein. Ich war auf dem Mars, im Lichte einer neuen, helleren Sonne.
Ich bewegte mich, und wenn mir auch alles wehtat, so war es doch ein angenehmer Schmerz – wie nach langer, schwerer Arbeit. Ich konnte alles bewegen, meine Arme und Beine und meinen Kopf. Ich war im Bett, und die Laken waren kühl.
„Leslie“, sagte ich. Ich weiß nicht, woran ich merkte, daß sie da war, aber ich wußte es und streckte die Arme aus, so steif sie auch waren, und Leslie war darin.
„Bill“, flüsterte sie. Ich fühlte, wie sie sich über mich beugte, und ihre Lippen berührten die meinen. Ich befühlte sie besorgt. Sie trug einen Arm in der Schlinge, aber sonst konnte ich bis zu ihren Knien hinunter keine Verletzung feststellen.
„Nein, es ist alles in Ordnung“, sagte sie. „Bei dir auch, abgesehen von einer oder zwei Narben, mit denen du interessant aussehen wirst.“
Sekundenlang lagen wir einander in den Armen. Aber dann mußte ich fragen:
„Wie viele von uns sind noch am Leben?“
Sie lachte atemlos. „Alle“, sagte sie. „Sammy, Harry, Bessie, Morgan, Betty und die Stowes. Und du und ich. Von dem Rettungsschiff ist nicht mehr viel übrig, aber …“
„Und die anderen Schiffe?“ fragte ich. „Wie viele sind gelandet?“
„Hunderte“, sagte sie leichthin. „Auf dem ganzen Mars kommen sie herunter. Die meisten machen allerdings eine Bruchlandung. Denke jetzt nicht daran, Bill. Wir wissen noch nicht, wie die ganze Lage ist, wie viele gut ankommen, aber du hast recht gehabt – es ist nur ein geringer Prozentsatz.“
Sie lachte wieder, und ich fühlte, wie sie ihre Wange gegen mein verbundenes Gesicht legte.
„Aber mit dir als Pilot mußten wir ja gut ankommen.“
13. Kapitel
„Wir beide sollten eigentlich gute Freunde sein, Bill“, sagte Alec Ritchie in seinem gewohnten gutgelaunten Ton, „weil uns die beiden hübschesten Mädchen besuchen, die es jetzt noch gibt.“
Ich grinste wider Willen. „Ist das denn ein Grund?“ fragte ich.
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