TS 58: Das Raumschiff der Verbannten, Teil 1
nicht existierte – oder wenigstens nur im Modell existierte.
Es war keine Mühe und keine Ausgabe gescheut worden, um das Unternehmen so gründlich vorzubereiten, daß es nach menschlichem Ermessen keinen Fehlschlag geben konnte.
Selbst die Siedler waren geschult worden. Die Siedler, deren einzige Aufgabe darin bestand, an Bord zu gehen und sich dort für die Dauer der Reise wie vernünftige Menschen zu benehmen. Sie waren auf das Einschiffungsmanöver trainiert worden, denn die verantwortlichen Stellen hielten es für unzuträglich, daß sich die Menschen vor dem Start mehr als ein paar Tage im Anblick der Erde an Bord aufhalten mußten. Man hatte mit den Siedlern also geübt, wie sie einZubringerboot zu betreten hatten, wie sie ihr persönliches Gepäck stapeln mußten, damit die Mannschaft des Bootes es so schnell wie möglich an Bord bringen konnten, wie sie sich schließlich an Bord der GLORIOUS zu verhalten hatten und wie sie ihre Kabinen finden konnten.
An alles war gedacht worden. Es konnte nichts schiefgehen.
Es hätte nichts schiefgehen können, dachte Leinster, während er den Start vorbereitete und den grünen Bogen der Umlaufbahn auf dem Radarschirm beobachtete, wie er sich dem roten Punkt des Apogäums näherte, wenn es nicht zwei Menschen gäbe, von denen einer zuviel an Bord ist.
Es war mit den Händen zu greifen, daß die Gegnerschaft Leinster – Helmer zur Katastrophe führen mußte, mochte das Unternehmen im übrigen auch noch so sorgfältig durchdacht, geplant und vorbereitet sein.
Es hilft auch nichts, dachte Leinster grimmig, wenn ich mir vornehme, ihn in Ruhe zu lassen. Er ist derjenige, der sich mit dem Ausgang der Wahl niemals zufriedengeben wird. Ich kann ihm anbieten, was ich will – solange es nicht der Kommandantenposten ist, wird er nicht zufrieden sein.
Und vielleicht dann noch nicht einmal.
Leinster hing dem Gedanken nach und spürte, wieviel Verzweiflung in ihm steckte.
Die GLORIOUS war eine Falle – eine Falle für alle, die sich ihr anvertraut hatten und nichts anderes glaubten, als daß sie nach ein paar Jahren wohlbehalten und unter dem Glanz einer fernen, fremden Sonne das Schiff wieder verlassen und sich eine neue Heimat aneignen würden.
Wie viele von ihnen …
Leinster erschrak, als das Klingelsignal erscholl.
„Fünf Minuten bis zum Startpunkt“, sagte jemand neben ihm.
Leinster wandte sich zur Seite. Neben seinem Sessel stand Helmer.
Leinster nickte.
„Haben Sie alles bereit?“ fragte er.
„Jawohl, Sir“, antwortete Helmer und legte einen merkwürdigen Nachdruck auf das Wort „Sir“. „Sämtliche Funktionskontrollen durchgeführt. Das Schiff ist in Ordnung.“
Lächelnd fügte er hinzu:
„Wie könnte es auch anders sein?“
Leinster lächelte ebenfalls.
Lieber Gott, wenn er nur immer so wäre …!
Das Klingelsignal wiederholte sich alle Minuten. Eine Minute vor dem Start ertönte es dreifach. Leinster gab seine letzten Kommandos.
Er hätte die Augen schließen und die Schaltungen blind betätigen können – so oft hatte er die Griffe geübt.
Zehn Sekunden vor Null begann die Klingel, einen Dauerton von sich zu geben, und im Augenblick des Starts gesellte sich eine helle, schrille Pfeife dazu.
Leinster drückte den Schalter, der die Generatoren mit der vorher eingeregelten Leistung arbeiten zu lassen begann.
Niemand merkte etwas davon, daß die GLORIOUS sich auf den Weg gemacht hatte. Es gab keinen Ruck und keinen Anhaltspunkt, an dem man erkennen konnte, daß das Schiff sich von jetzt an auf einer anderen Bahn bewegte als der, auf der es fast ein Jahrhundert lang die Erde umkreist hatte. Die Beschleunigungsabsorber schluckten die Stöße, die die Beschleunigung verursachte, und was die Bildschirme abbildeten, war zu weit entfernt, als daß man die Positionsänderung jetzt schon hätte bemerken können.
Zu Beginn des Fluges war eine zweimonatige Beschleunigungsperiode vorgesehen, während der die GLORIOUS in der Sekunde 500 m/sec an zusätzlicher Geschwindigkeit gewann. Auf Erdschwere umgerechnet, entsprach dieser Wert einer Beschleunigung von 50 g. Niemand hätte einen solchen Andruck ohne die Hilfe der Absorber ertragen können.
Nach der zweimonatigen Beschleunigungsphase folgte die lange Zeit des antriebslosen Fluges. Er würde 40 Monate dauern. Den Abschluß bildete eine Bremsphase von abermals zwei Monaten Dauer.
Diese Aufteilung war gewählt worden, weil sie neben einer erträglichen Reisedauer ein Höchstmaß an Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher