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TS 94: Sehnsucht nach der grünen Erde

TS 94: Sehnsucht nach der grünen Erde

Titel: TS 94: Sehnsucht nach der grünen Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fredric Brown
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ja. Natürlich ist kein Grund dafür vorhanden.“
    „Das finde ich auch. Sie sorgen sich um die Leute hier, damit nichts in die Zeitung kommt. Sagen Sie einfach, ich – ich … Moment mal, dann würde ja das mit dem Bruder ins Wasser fallen! Hm … Charlie Doerr, in der Absatzstelle, ist mein Vetter und nächster Verwandter. Er ginge doch auch, wie?“
    „Sicher. Er müßte dann den Mittelsmann spielen; das heißt, Sie in der Irrenanstalt besuchen und zurückbringen, was immer Sie ihm übergeben.“
    „Und wenn ich nach ein paar Wochen noch nichts gefunden habe – werden Sie mich loseisen?“
    Chandler nickte. „Ich brauche nur Randolph Bescheid zu sagen; er wird Sie untersuchen und für geheilt erklären, und schon sind Sie draußen. Hier wird man einfach glauben, Sie seien in Urlaub gewesen. Das ist alles.“
    „Welche Art der Verrücktheit soll ich vorgeben?“
    Chandler schien sich unmerklich zu krümmen. Er sagte: „Nun – wäre diese Napoleon-Sache nicht am naheliegendsten? Ich meine, Paranoia ist eine Form der Verrücktheit, die – so erzählte mir Randolph – keine physischen Symptome aufweist. Es ist nur eine Wahnidee, begründet auf ein systematisches Gerippe der vernunftmäßigen Unterordnung. Ein Paranoiker kann geistig völlig gesund sein, ausgenommen in einer Hinsicht.“
    Vine beobachtete Chandler, und ein schwaches, verzerrtes Lächeln spielte über seine Lippen. „Sie meinen, ich sollte mich für Napoleon halten?“
    Chandler machte eine vage Geste. „Suchen Sie sich ihre Wahnidee selbst aus! Nur – liegt diese eine nicht auf der Hand? Ich meine, wo die Jungens Sie doch alle necken und Nappi rufen, und …“ Kaum hörbar schloß er: „Nun, eben all das.“
    Und dann sah ihn Chandler voll an. „Wollen Sie es machen?“
    Vine stand auf. „Ich denke schon. Morgen gebe ich Ihnen einen definitiven Bescheid, nachdem ich es überschlafen habe. Aber inoffiziell – ja. Genügt das?“
    Chandler nickte.
    Vine sagte: „Ich nehme mir den Rest des Nachmittags frei; ich gehe zur Bibliothek, um über Paranoia nachzulesen. Am Abend werde ich mit Charlie Doerr sprechen. Okay?“
    „Fein. Und vielen Dank.“
    Vine grinste und beugte sich über den Tisch zu Chandler. Er sagte: „Ich vertraue Ihnen ein kleines Geheimnis an, jetzt, wo die Sache so weit fortgeschritten ist. Aber sagen Sie es niemandem. Ich bin Napoleon!“
     
    *
     
    Er holte sich Hut und Jackett und verließ das Gebäude; klimatisierte Luft tauschte er gegen sengende Hitze, aber ein Tollhaus war wie das andere – zuerst die Zeitungswelt nach Redaktionsschluß, dann die Straßen an einem schwülen Juli-Nachmittag.
    Er kippte seinen Strohhut nach hinten und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Wohin sich wenden? Jedenfalls nicht zur Bibliothek und den Büchern über Paranoia; das war ein Trick gewesen, um für den Rest des Nachmittags frei zu bekommen. Er kannte alles, was die Bibliothek an derartigen Werken zu bieten hatte. Über zwei Jahre lag es zurück, als er darangegangen war, die Bücher zu lesen, die Paranoia und verwandte Themen behandelten. Er war Experte auf diesem Gebiet. Er konnte jeden Psychiater im Lande glauben machen, er sei geistig gesund – oder krank.
    Er schritt nordwärts zum Park und ließ sich auf einer Bank nieder, an einer schattigen Stelle. Er legte den Hut neben sich und wischte sich abermals über die Stirn.
    Er starrte hinaus ins Gras, leuchtend grün im Sonnenschein, starrte auf die Tauben mit ihrer verrückten kopfnickenden Gangart und auf das rote Eichkätzchen, das an einem Baum herabkam, ihm einen Blick zuwarf und dann wieder emporhuschte, am gleichen Baum, nur auf der anderen Seite.
    Und seine Gedanken sprangen zurück um drei Jahre – zur Mauer der Amnesie.
    Die Mauer, die überhaupt keine Mauer gewesen war. Der Satz faszinierte ihn: überhaupt keine Mauer. Tauben auf dem Gras – oh, Gott! Überhaupt keine Mauer.
    Es war keine Mauer; es war eine Verschiebung, ein jäher Wechsel. Eine Trennlinie war zwischen zwei Leben gezogen worden. Vor dem Unfall – ein siebenundzwanzigjähriges Leben; danach – ein dreijähriges.
    Sie waren nicht ein und dasselbe Leben.
    Aber niemand wußte das. Bis heute nachmittag hatte er nie auch nur die Wahrheit angedeutet – wenn es die Wahrheit war! Er hatte sie als Gag benutzt, zum Abschluß, bevor er hinausgegangen war, denn er wußte, Chandler würde es für einen Gag halten. Trotzdem, man konnte nie vorsichtig genug sein. Ein Gag wie dieser, zu

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