TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
burnusartigen Mäntel, die sie getragen hatten, als sie in Belisarius’ Diensten waren. Aber ihre glattrasierten Gesichter, die eng anliegenden Hosen und die hohen gelben Stiefel unterschieden sie deutlich von dem Rest der Truppen und erweckten somit Argwohn.
Padway fand die beiden Befehlshaber an der Spitze der Reiterschar. Asinar war hochgewachsen, Grippas dagegen klein. Aber von diesen Äußerlichkeiten abgesehen, waren sie nichts anderes als zwei kleine, bärtige alte Barbaren. Sie grüßten Thiudahad voll Respekt. Thiudahad stellte Padway als seinen neuen Präfekten – nein, er meinte natürlich seinen neuen Quästor – vor.
Asinar sagte zu Padway: „In Padua haben wir ein Gerücht gehört, daß es in Italien Bürgerkrieg und Usurpation gegeben hätte. Was stimmt daran?“
Padway war froh, daß sein Telegraph so weit im Norden noch nicht eingerichtet war. So lachte er nur.
„Oh, unser tüchtiger General Wittiges hatte vor ein paar Wochen eine kluge Idee. Er schloß sich in Ravenna ein, wo die Griechen ihm nichts anhaben konnten, und ließ sich zum König ausrufen. Wir haben die Griechen verjagt und sind jetzt auf dem Wege zu Wittiges, um mit ihm abzurechnen. Eure Leute werden uns auch dabei helfen können.“
Am Mittag des nächsten Tages rückten sie in Ravenna ein. Der Nebel war auf der nördlichen Straße so dicht, daß ein Mann dem Vorreiter vorausgehen mußte, um zu verhindern, daß sie in den Sumpf gerieten.
Als die Streitmacht in Ravenna aus dem Nebel auftauchte, herrschte einige Unruhe. Padway und Thiudahad hielten sich klugerweise im Hintergrund, während Asinar und Grippas sich zu erkennen gaben. Demzufolge befand sich ein Großteil dieser Streitmacht bereits in der Stadt, ehe jemand den kleinen, grau gekleideten Mann neben Padway erkannte. Und dann schien die ganze Stadt in Bewegung zu geraten.
Kurz darauf tauchte ein Gote in einem roten Umhang auf und rannte auf die Spitze der Kolonne zu. Er rief:
„Was, zum Teufel, geht hier vor? Habt ihr Thiudahad gefangen oder er euch?“
Asinar und Grippas saßen auf ihren Pferden und starrten einander an:
„Äh … äh … das heißt …“
Padway ritt an die Spitze und fragte:
„Wer seid Ihr denn, mein lieber Herr?“
„Falls Euch das etwas angehen sollte – ich bin Unilas, Wiljariths Sohn, General unseres Königs Wittiges, König der Goten und Italer. Und wer seid Ihr?“
Padway grinste breit und antwortete:
„Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, General Unilas. Ich bin Martinus Paduei, Quästor unseres Herrn Thiudahad, König der Goten und Italer. Und jetzt, da wir einander kennen …“
„Narr, es gibt keinen König Thiudahad! Er ist abgesetzt worden! Wir haben einen neuen König! Oder habt Ihr nicht davon gehört?“
„Oh, ich habe vieles gehört. Aber, mein lieber Unilas, ehe Ihr weitere unhöfliche Bemerkungen macht, solltet Ihr bedenken, daß König Thiudahad mehr als sechzigtausend Truppen in Ravenna hat, während Ihr nur zwölftausend habt. Ihr wollt doch keine Ungelegenheiten, oder?“
„Ihr unverschämte … äh … sagtet Ihr sechzigtausend ?“
„Vielleicht siebzig, ich habe sie nicht gezählt.“
„Oh, das ist etwas anderes.“
„Ich habe mir schon gedacht, daß Ihr es so sehen würdet.“
„Was werdet Ihr tun?“
„Nun, wenn Ihr mir sagen könnt, wo General Wittiges sich aufhält, würden wir, denke ich, ihm einen Besuch abstatten.“
„Er heiratet heute. Ich nehme an, er ist jetzt gerade zur Sankt Vitalis-Kirche unterwegs.“
„Schnell, wie kommt man zur Sankt Vitalis-Kirche?“
Padway hatte nicht damit gerechnet, die Heirat Wittiges’ mit einer Tochter aus der Amalinger-Familie noch verhindern zu können. Aber diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen.
Unilas deutete auf eine von zwei Türmen flankierte Kuppel. Padway rief seiner Wache zu und trieb seinem Pferd die Sporen in die Seiten. Die fünfhundert Mann galoppierten hinter ihm drein und bespritzten die Passanten von Kopf bis Fuß mit Schlamm. Sie donnerten über eine Brücke, die einen der zahlreichen Kanäle Ravennas überspannte, und auf das Portal der Sankt Vitalis-Kirche zu.
An der Tür standen ein Dutzend Wächter. Gedämpfte Musik schlug ihnen entgegen. Die Wächter hoben ihre Speere. Padway zugehe sein Pferd und winkte dem Anführer seiner Garde, einem Mazedonier namens Athilleus zu: „Kümmere dich um sie!“ befahl er.
Die Kürassiere hatten inzwischen einen Halbkreis um das Kirchenportal gebildet. Im
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