Tsunamis - Entstehung, Geschichte, Prävention
mehr gibt: Doggerland. Im späten 20. Jahrhundert ließen industrielle Vermessungen des Meeresbodens die wissenschaftliche Rekonstruktion eines etwa 23.000 Quadratkilometergroßen Landgebiets zu, das einst Großbritannien mit der nordwesteuropäischen Küste verband. Doggerland war eine sanft hügelige und fruchtbare Region, die den mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern mit einem weitverzweigten Netz an Flüssen und zahlreichen Seen und Wasserverbindungen sowie einem großen Südwasserbinnenmeer reiche Nahrung bot. Doch Doggerland war dem Untergang geweiht: Durch die Klimaveränderung versank das fruchtbare Land allmählich im Meer. Der Storegga-Tsunami dürfte den Prozess beschleunigt haben; möglicherweise hat er auch zur endgültigen Abtrennung der höher liegenden Festlandbereiche vom Kontinent geführt.
Die Auflaufhöhe des Tsunamis war bei dieser niedrigen, sanft gewellten Landschaft weniger entscheidend als die Frage, wie weit und mit welcher Macht die Fluten in das Land eindrangen. Besonders der Rückfluss des Tsunamis, bei dem starke Strömungen und Wirbel entstanden, dürfte für das Land mit seiner niedrigen, taiga-ähnlichen Vegetation verheerend gewesen sein. Zweifellos wurden zahlreiche Siedlungen, die Infrastruktur für den Fischfang, Grabstätten und religiöse Kultstätten zerstört. Besonders fatal war der Verlust der Wintervorräte: Die Analyse der Tsunami-Ablagerungen in Norwegen lässt vermuten, dass sich die Rutschung und der Tsunami im Spätherbst ereigneten. Wer die Katastrophe überlebte, war einer tödlichen Hungersnot ausgesetzt.
Nach der Besiedlungsstatistik der mittleren Steinzeit ist davon auszugehen, dass allein in Doggerland zwischen 700 und 3000 Menschen betroffen waren; die meisten starben vermutlich sofort in den Fluten. Insgesamt müssen in den Küstenregionen Tausende von Menschen ums Leben gekommen sein.
Die Gewalt des Tsunamis lässt sich an der norwegischen Westküste rekonstruieren. Hier muss das Wasser vor dem Eintreffen der ersten Tsunamiwelle stark zurückgegangen sein; eine Modellierung lässt einen Fall des Wasserspiegels um 20 Meter vermuten. Der Tsunami kam in mehreren gewaltigen Wellen, und er breitete sich weithin aus. Allein an der Ostküste Schottlands war ein Landstrich von mehr als 600 Kilometern betroffen.
Auslöser der Rutschung und somit des Tsunamis war vermutlich eine Kombination mehrerer Faktoren: ein Erdbeben, verbunden mit Sedimentladung und Destabilisierung des Hangs, dazu möglicherweise eine Zersetzung von Gashydraten im Untergrund, die zu einer Verflüssigung von Sedimenten führte und damit die Rutschung in Gang setzte. Da Methanhydrate nur unter bestimmten Druck- und Temperaturbedingungen stabil sind, könnte die Änderung des Meeresspiegels oder aber eine Erwärmung – durchaus auch in Verbindung mit seismischer Aktivität – zu einer Destabilisierung der Hydrate geführt haben. Als der Hang erst einmal ins Rutschen geriet, kam es zu einer gewaltigen Kettenreaktion.
Die Gefahr ist freilich nicht gebannt. Immer wieder kam es zu kleineren und größeren Rutschungen entlang der norwegischen Küste, und auch nahe der britischen Küste gab es in den vergangenen 2000 Jahren starke Erdbeben. Kommen mehrere Faktoren zusammen, vor allem eine gefährliche Mischung der Sedimente auf dem Kontinentalhang, so kann sich eine neuerliche Rutschung ereignen, mit einem Tsunami, der sämtliche Anrainerstaaten der Nordsee und des Europäischen Nordmeers treffen könnte. Frank Schätzing hat ein solches Szenario in seinem Bestseller
Der Schwarm
inszeniert; die rächende Natur hilft hier in Form von hydratzersetzenden Bakterien etwas nach. Doch auch ohne Thriller-Stories bleibt zu fragen, wie weit die Offshore-Öl- und -Gasförderung Einfluss auf die Stabilität von Gashydraten und damit zuletzt auf die Hänge unter Wasser hat. Die Probleme, die für die Natur durch die unterseeische Gewinnung von Rohstoffen entstehen, sind bislang nur ansatzweise erforscht; welche langfristigen Auswirkungen die Öl- und Gasförderung auf die Meeresfauna, aber auch auf die Stabilität von unterseeischen Hängen haben wird, ist ungewiss. Ein «menschengemachter» Tsunami, wie er – mit anderen Bedingungen und Dimensionen – 1979 am Flughafen von Nizza ausgelöst wurde (siehe S. 27), ist ein durchaus denkbares Szenario.
Der Santorin-Ausbruch um 1620 v. Chr.
Akrotiri ist eine Geisterstadt. Treppenaufgänge, die Stufen in der Mitte von einem heftigen Erdbeben
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