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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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noch?«
    In wenigen Tagen würde die Kälte über das Land fallen, und das Schiff mußte sich dann schon in dem warmen Strom befinden, der es von der Küste weg brachte.
    Nigoel rang lange mit sich, dann endlich hatte er seinen Entschluß gefaßt.
    »Laß mir etwas von deinem Proviant da, nimm mein Buch und das Bündel von Plänen und die Steine und reite los.«
    »Und du?« fragte Pilok, sehr schnell und hastig.
    »Ich werde mein möglichstes versuchen. Komme ich nicht mehr mit, reite ich so lange weiter, wie es geht. Die Richtung ist klar – Westen.«
    Als der bleiche Morgen kam, ritt Pilok los. Er saß auf dem Pferd, hatte seinen Proviant abgeladen und reichte Nigoel die Hand. Das Metall der Kettenhandschuhe ließ Nigoel erschauern, und ein Blick in Piloks Augen machte ihm Angst. Dann riß der Drachenritter sein Tier herum und preschte davon. Eine leichte Staubwolke erhob sich unter den Hufen des Pferdes.
    Imar blieb reglos stehen, nahm dann den Zügel seines lahmen Pferdes und ging langsam weiter. Immer nach Westen. Er setzte einen Fuß vor den anderen und hatte immer noch Piloks Gesicht vor sich.
    Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war; es war Nacht.
    Der Hufschlag eines dahinsprengenden Pferdes erklang, und der Kopf des Ritters fuhr suchend hoch. Nigoel lockerte den Köcher und nahm den gespannten Bogen von der Schulter. Es war ein Chongale. Der Reiter kam direkt aus der grünen Scheibe des Wintergestirns heraus. Nigoel hakte den Daumenring in die Sehne, zielte und drehte die Hand im Gelenk. Der Pfeil schlug in den Körper des Fremden. Er brach schweigend vornüber und verhing sich in der Beinschlinge.
    Einige Schritte, hastige Handgriffe und ein Sattelwechsel. Dann folgte Nigoel Imar auf Piloks Fährte. Wie ein Rasender peitschte er das Pferd, und donnernd jagte er über die Steppe, der Bucht und dem Schiff entgegen. Plötzlich verstand er alles.
    Piloks schweigsame Veränderung, die Kleinigkeiten während des langen Rittes, alle Dinge, die ihm entgangen waren oder für die er kein Auge gehabt hatte. Nur Beatrix. Sie hatte die wahre Natur des Drachenritters erkannt.
    »Hüte dich vor den Drachen!«
    Drachen waren die Wappentiere Piloks. Die Eifersucht mußte den Mann innerlich zerfressen haben. So war es. Heiß überlief es Nigoel. In wilder Jagd preschte er über die Steppe.
    Vielleicht kam er noch zur rechten Zeit ...
     
    *
     
    Es war fast Mitternacht, als Nicholas frierend wach wurde. Um ihn herum herrschten Dunkelheit und nächtliches Schweigen. Er brauchte einige Minuten, um in die Wirklichkeit des kleinen Gartens an der Rue Censier zurückzufinden. Wütende Schmerzen und die Kälte der Nacht taten alles, ihm den Weg in die normale Umgebung zu erleichtern.
    Er fühlte, wie sein Kopf zerspringen wollte, aber ihm war nicht übel. Nur die Handgelenke und die Knie schmerzten, als sei Nicholas auf ihnen über Schotter gekrochen. Er stand auf, schüttelte sich und begann zu laufen. Langsam kehrte die Wärme in seinen Körper zurück.
    Er lief langsam die hundert Meter, die ihn von seiner Behausung trennten. Der Lift brauchte anscheinend Stunden, um den obersten Stock zu erklimmen; endlich schloß Nicholas die Tür seiner Wohnung auf. Wieder war er halb besinnungslos in den Maschen eines Traumes gefangen gewesen, und es drängte ihn förmlich dazu, diesen Eindruck loszuwerden. Er mußte an die Staffelei. Wie ein winziger Blitz erhellte der Gedanke an die Worte des Psychologen das Dunkel – aber Nicholas fürchtete sich trotzdem.
    »Einen neuen Rahmen ...«, murmelte er vor sich hin und klemmte ihn in die Halterung des Holzgestells. Das grelle, fast schattenlose Licht der beweglichen Architektenlampe fiel auf die leere Leinwand. Tuben voller Ölfarbe kollerten in dem Kasten umher, als ihn Nicholas vor sich auf den Boden stellte. Dann begann der Student zu malen.
    »Ein breiter Pinsel ...«
    Wieder entstand ein Bild. Die dritte Traumwelt.
    Reiner Expressionismus – wie der Sonnenuntergang von Claude Monet.
    Eine Landschaft wuchs auf der Struktur des Leinens; eine mehr als phantastische Landschaft. Rechts im Bild verloren sich die Gipfel eines bizarren Gebirgszuges in der Ferne. Eine kahle Hochebene mit kalkigen Gräsern breitete sich aus und erstreckte sich bis in die Unendlichkeit eines verschwimmenden Horizontes. Die Pinsel wischten über die Leinwand; sie ließen einen abgestorbenen Baum im linken Vordergrund wachsen. Drohend reckten sich die schwarzen, knolligen Äste in den Himmel. Der Himmel war

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