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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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von unbestimmbarer Farbe. Das Bild schien eine Abendstimmung wiedergeben zu wollen. Nichts, was hier gemalt wurde, ging durch Nicholas' Gedanken. Etwas malte aus ihm heraus. Ein anderer Mann schuf das Bild.
    Hinter den Bergen hing die fahle Sichel eines bleichen Mondes. In der Mitte des Bildes erschien ein grellgrüner Fleck am Himmel. Er breitete sich aus und zerfloß. In seiner Mitte stand ein volles Gestirn.
    Der Wintermond?
    Es schien, als würde Schnee über das Bild rieseln; die Stimmung ließ keine andere Deutung zu.
    »Jetzt ...«, flüsterte Nicholas, ohne sich dessen bewußt zu sein. Jetzt bildete sich aus dem Hintergrund eine schwarze Schlange aus kleinen Punkten, die an Größe gewannen, je mehr sie in den Vordergrund kamen. Die beiden ersten Figuren waren klar zu erkennen. Es waren Männer, die auf Pferden saßen. Die Tiere schienen sich nur noch dahinzuschleppen. Die Männer hingen müde in den Sätteln. Einer der beiden, vermummt mit einem silberspiegelnden Helm, trug eine Lanze. Von der Spitze der Waffe hing schlaff ein Wimpel herab. Schlaff genug, um erkennen zu lassen, daß ein Wappentier darauf abgebildet war. Es sah wie ein sich krümmender Drache aus.
    Drei Uhr morgens ...
    Der Bann wich, und Nicholas öffnete die Augen, um zu sehen, was vor ihm in der Staffelei hing – mit Bewußtsein zu sehen. Trotz der langen Worte des Psychiaters fühlte er wieder den Schauer, der aus unbestimmten geistigen Fernen zu kommen schien.
    Im Studio war es leer und still. Die Fenster waren geschlossen, und es war etwas wärmer als draußen. Nicholas bückte sich und zog ein elektrisches Heizgerät unter der Couch hervor, schaltete es ein und fühlte, wie die Kälte langsam vertrieben wurde. Die Kälte des Raumes – nicht die Kälte, die von dem Bild ausging. Der Eindruck war drohend, voller versteckter Gefahren. Nicholas stand auf und holte tief Luft, dann zündete er sich eine Zigarette an.
    Nicholas war wieder frei.
    Der Kopf, der noch vor drei Stunden zu zerspringen drohte, war leer, von einer seltsamen Leere, als schliefen sämtliche Gedanken. Der Student wandte sich vom Bild ab und drehte den Metallschirm der Lampe so, daß das Licht zu Boden gestrahlt wurde. Schlagartig wurde es wärmer, wenigstens schien es Nicholas so. Und ebenso schlagartig kehrten die Schmerzen zurück. Die Schmerzen, die er zu erwähnen vergessen hatte, als er Dr. Poul Roger gegenübersaß. Vorsichtig zog Nicholas die Lederjacke aus und warf sie achtlos über die Lehne des Sessels.
    Kaum hatte er den Ärmel des Hemdes hochgekrempelt, sah er die Verbrennungen. Verbrennungen?
    Nicholas erstarrte.
    Von neuem überfiel ihn würgende Angst. Wo könnte er sich verbrannt haben? Hastig bückte er sich und zog die Slipper aus, streifte die Hose herunter und sah, daß beide Knie mit großen Brandblasen bedeckt waren. Schweigend setzte er sich auf die Couch.
    Erst die Wunde mit dem Holzsplitter ... dann die Abschürfungen, jetzt die Brandwunden!
    Er schüttelte verständnislos den Kopf und versuchte, an etwas anderes zu denken. Er stand wieder auf und ging hinaus zum Schrank, wo er Heftpflaster und eine Binde wußte. Es war zu wenig, um die Wunden zu bedecken. Nicholas setzte sich wieder, rauchte die Zigarette und wartete die vier Stunden, bis die Geschäfte öffneten. Dann kämmte er sich, zog die Jacke über und fuhr hinunter. Einige Häuser weiter war eine Drogerie, in der er kaufen konnte, was er brauchte.
    Nicholas öffnete die Tür der Drogerie, die mit kleinen Plakaten vollgeklebt war. Im Laden roch es nach Desinfektionsmitteln und Mottenpulver. Drei Personen standen darin. Eine altere Frau kaufte Kopfschmerztabletten, eine andere Salmiak zum Fensterputzen, und ein kleiner Junge brauchte Heftpflaster. Dann war Nicholas an der Reihe. Der Mann fragte ihn, was er wollte.
    Nicholas verlangte drei Binden und eine große Tube Brandsalbe. Der Mann suchte die Dinge heraus und legte sie auf ein großes Blatt bedruckten Papiers, wickelte sie ein und rechnete zusammen.
    »Acht Franc siebzig«, sagte er mürrisch. Er blickte kaum auf, als die Türglocke schrillte. Nicholas zahlte und wartete auf das Wechselgeld. Er klaubte es von der Platte des Verkaufstisches, als er die Stimme hörte. Er hätte sie aus Hunderten anderer Stimmen sofort herausgehört. Er drehte sich ganz langsam um.
    Die Stimme gehörte einem Mädchen von rund fünfundzwanzig Jahren. Nicholas hatte sie dreimal gehört. Dreimal!
    Er starrte das Mädchen an.
    »Oh«, sagte er

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