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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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nehme an, bis in die Nähe Ihrer Wohnung oder Ihres Zimmers.«
    »Es ist nicht weit. Rue Nordmann«, sagte sie. »Wenn Sie wollen ...«
    »Wenn ich darf ...«
    »Bitte.«
    Sie gingen langsam nebeneinander her. Nicholas begann:
    »Wissen Sie, es ist so: Ich bin Student und male hin und wieder etwas. Bekannte sagen, es wäre Kunst, ich weiß es nicht. Und seit ungefähr zehn Tagen träume ich gräßliche Sachen. Dinge, die sich nicht auf Erden zugetragen haben, sondern auf anderen Welten. Und in jedem dieser Träume – plötzlich, als ich Sie sah, erinnerte ich mich – sah ich Sie, oder ein Mädchen, das Ihnen verblüffend ähnlich sieht. Ich malte Sie noch nie, aber jetzt könnte ich es. Ehe Sie mich für verrückt erklären; ich habe gestern zwanzig Franc dafür bezahlt, um von einem zweifachen Doktor versichert zu bekommen, daß ich völlig normal bin. Was sagen Sie dazu?«
    Sie zuckte die Schultern. »Hört sich nicht alltäglich an«, sagte sie. Nicholas lachte kurz auf.
    »Heute früh wachte ich auf und hatte Brandblasen an Knien und am Handgelenk. Ich brauchte Salbe, deswegen bin ich in den Laden dort gegangen, wo ich Sie traf.«
    »Haben Sie Ihren Tee umgeschüttet?« fragte sie lachend.
    »Nein. Die Verbrennungen habe ich auch geträumt.«
    Sie blieb stehen.
    »Erzählen Sie Märchen?« fragte sie angriffslustig.
    »Ich wünschte, es wäre so«, antwortete Nicholas leise. »Das sind Dinge, die ich selbst nicht erklären kann und die mich langsam zum Irrsinn treiben.«
    »Sie scheinen merkwürdige Dinge zu erleben«, sagte sie und ging wieder weiter.
    »Merkwürdig – das reicht nicht. Ich erzähle Ihnen eines Tages alles, und Sie werden sehen, daß auch Sie diesem Kreis angehören.«
    »Diesem Kreis?« fragte sie. Nicholas sah sich um, ehe sie die Straße überquerten.
    »Die Gestalten, die ich träume, ich und Sie – wir scheinen einem Kreis anzugehören, ohne es zu wissen, ohne zu wissen, worum es geht. Ich bin nicht verrückt, aber wenn ich Ihnen alles erzähle, dann werden Sie es sehen!«
    Endlich hielt Beatrice Grandjean vor dem Haus an, in dem sie wohnte. Sie hatte, wie sie Nicholas rasch erklärte, eine kleine Mansardenwohnung. Dann fingerte sie in ihrer Tasche herum und reichte Nicholas einen Schlüssel. Sie war einem raschen Impuls gefolgt; das war deutlich.
    »Kommen Sie in einer dreiviertel Stunde wieder hierher. Ich habe einen kleinen Wagen – fahren Sie mich nach Orly hinaus?«
    Nicholas sah sie an, schweigend, fast eine Minute lang, dann sagte er:
    »Noch nie in meinem Leben habe ich mich so aufs Autofahren gefreut!«
    »Es ist nur ein kleiner Fiat«, sagte sie. »Ich muß jetzt meinen Koffer packen. Kommen Sie?«
    »Ich warte Punkt acht hier. Ist das der Wagen?« sagte Nicholas und deutete auf einen Fiat, einen roten Fünfhunderter, der fast neben ihnen am Randstein parkte. Das Mädchen nickte.
    »Gut«, sagte Nicholas. Er steckte den kleinen Schlüssel in die Brusttasche seines Hemdes, dann ging er schnell über die Straße und in die Richtung der eigenen Wohnung.
    Oben angelangt, riß er sich die Kleider herunter und bestrich die schmerzenden Stellen an beiden Handgelenken mit der Salbe und verband sie. Die Verbände an den Knien machte er mit breiten Heftpflasterstreifen so fest, daß sie nicht rutschen konnten. Dann rasierte er sich eilends, zog ein frisches Hemd an und machte sich eine Tasse Pulverkaffee.
    Fünf Minuten vor acht saß er in dem kleinen Fiat, hatte ihn bereits einmal angelassen und dann die Zündung wieder abgestellt. Er wartete auf Beatrice. Sie kam zwei Minuten nach acht aus der Haustür. Sie trug zwei Koffer, einen hellen Lederkoffer und einen aus Schottenstoff. Nicholas machte, daß er aus dem Wagen herauskam und nahm ihr die Koffer ab.
    »Keine Angst gehabt, daß ich mit dem Fiat auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnte?« fragte er, während er die beiden Koffer auf der winzigen Sitzbank verstaute.
    »Merkwürdig«, sagte sie. »Nicht eine Sekunde lang dachte ich daran.«
    »Ich scheine den Eindruck eines harmlosen Irren zu machen«, sagte Nicholas mit halbem Lächeln. »Sonst hätten Sie diese Wahrscheinlichkeit einkalkuliert.«
    »Nicht ganz. Sie machen – einen anderen Eindruck. Einen ganz anderen«, meinte Beatrice und sah ihn aus dem Wagen heraus an. Nicholas schloß die Tür auf ihrer Seite, ging vorn um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Er ließ die Maschine an.
    »Welchen Eindruck?« fragte Nicholas und wendete den Wagen, nachdem er sich

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