TTB 102: Die Wächter der Sternstation
ungeduldig mit den Fingern. »Ein Messer, du Dummkopf!« rief er wütend. »Muß ich dir denn jedesmal genau erklären, was ich brauche?«
Nestamay wurde rot und gab ihm das Messer. Vielleicht hat Keefe doch nicht so unrecht, dachte sie – Großvater ist manchmal einfach unerträglich. Sie ließ sich verdrossen am Tisch nieder.
Mit einer Behutsamkeit, die man seinen kräftigen Fingern gar nicht zugetraut hätte, führte der Alte das Messer und trennte eine Scheibe von dem Stengel der Pflanze ab. Er legte sie unter das Mikroskop, bediente die Scharfeinstellung und wandte sich wieder an Keefe.
»Am East Creek, hast du gesagt?«
»Richtig. Praktisch auf der Spur des Dings, das wir vorgestern abend aus Kanal Neun vertrieben haben. Ich dachte, daß das Ding es vielleicht mitgeschleppt haben könnte – falls es sich wirklich um eine neue Pflanze handelt.«
»Es ist eine bisher unbekannte Pflanze«, bestätigte Großvater und lehnte sich zurück. »Entweder das, oder eine noch nie aufgetauchte Zwischenform einer der anderen Pflanzen, die wir bereits kennen. Aber das ist unwahrscheinlich, denn Varianten unterscheiden sich nicht so grundlegend vom Original.«
Nestamay beugte sich über die Plastikschüssel und betrachtete die unscheinbare Pflanze – etwa zehn Zentimeter hoch, mit dunkelgrünen Blättern und seltsamen roten Dornen. Unscheinbar – und vielleicht doch äußerst gefährlich, wie sie aus eigener Erfahrung wußte.
»Was sollen wir damit anfangen?« erkundigte Keefe sich.
»Nestamay, wozu bist du heute morgen eingeteilt?« fragte Großvater.
»Ich ... äh ... ich habe nachts Wache und deshalb nur bis zwölf Uhr Bereitschaftsdienst.«
»Ausgezeichnet, Keefe, nimm deine Pflanze wieder mit und stelle sie am Ausgang von Kanal Neun auf einen Tisch. Nestamay, du gehst durch die Siedlung. Jeder muß die Pflanze innerhalb der nächsten Stunde gesehen haben. Damit meine ich wirklich jeden – auch die kleinsten. Ich möchte vor allem wissen, ob dieses Zeug etwa in den Hydrokulturen aufgetreten ist, deshalb wirst du zuerst dorthin gehen.«
Nestamay nickte schweigend.
»Alle Erwachsenen, die heute ihren freien Tag haben«, fuhr Großvater fort, »melden sich umgehend bei Keefe, studieren die Pflanze und versuchen dann weitere Exemplare zu finden. Nestamay, du schickst das Mädchen zu mir, das so gut zeichnet, damit wir wenigstens eine Abbildung haben, falls die Pflanze eingehen sollte.«
Nestamay zögerte. »Du meinst, daß ... äh ... Danianel die Zeichnung anfertigen soll?«
»Ja. Worauf wartest du eigentlich noch? Los, ich brauche dich nicht mehr!«
*
Die meisten machten ein böses Gesicht, zuckten dann aber doch mit den Schultern, weil sie einsahen, daß sie Großvaters Befehl befolgen mußten. Manche konnten eine wütende Bemerkung nicht unterdrücken, wie zum Beispiel Egrin, der in seinem Treibhaus stand, als Nestamay ihn endlich fand. »Wenn der alte Trottel glaubt, daß ich eine fremde Pflanze übersehen haben könnte, dann ist er verrückt!« meinte er aufgebracht. Aber selbst er machte sich schließlich gehorsam auf den Weg, um die Pflanze zu besichtigen.
Erst als sie ihre Runde durch die Siedlung beendet hatte, bemerkte Nestamay, daß sie noch nicht mit Jasper gesprochen hatte.
Sie runzelte die Stirn und dachte darüber nach; sie war bei ihm zu Hause gewesen und hatte auch die Arbeitsgruppe benachrichtigt, zu der er normalerweise gehörte. Wo konnte er also noch stecken?
Nestamay machte sich auf die Suche nach einem Mitglied seiner Familie und begegnete seiner Mutter, die von der Besichtigung der Pflanze zurückkam.
»Wo ist Jasper?« fragte Nestamay. »Ich habe ihn noch nicht benachrichtigen können.«
»Er hat heute seinen freien Tag«, gab Jaspers Mutter zurück.
»So?« meinte Nestamay ungeduldig. »Das habe ich bereits von den anderen in seiner Arbeitsgruppe erfahren. Aber Großvater wollte ausdrücklich, daß ich jeden benachrichtige, und ich möchte Jasper schon deshalb auf keinen Fall auslassen, weil ...«
»Danke, den Grund dafür kenne ich«, unterbrach Jaspers Mutter sie. »Wenn ich gewußt hätte, daß er eines Tages ausgerechnet dich heiraten muß, weil ihm keine Wahl bleibt, hätte ich mich selbst nach einem anderen Mann umgesehen!«
»Ich zwinge ihn nicht dazu!« antwortete Nestamay empört. »Warum hat er Danianel dazu überredet, daß sie neulich ihre Wache nicht angetreten hat? Wer hat ihn dazu gezwungen? Ich bestimmt nicht; ich kann genauso gut ledig
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