TTB 102: Die Wächter der Sternstation
über dem Hügel. Komm mit, aber leise!«
Conrad gehorchte, obwohl er am liebsten in die entgegengesetzte Richtung davongelaufen wäre. Aber als sie über den Hügel hinwegsehen konnten und das Ding vor Augen hatten, das so laut geschrien hatte, schämte er sich wegen seiner Angst.
Es war so gewaltig wie seine Stimme, aber offensichtlich ungefährlich, denn es lag im Sterben.
Fast vierzig Meter lang und von Kopf bis Schwanz mit riesigen Blasen bedeckt, die in allen Farben schillerten, lag es zwischen einigen Felsbrocken in der Nachmittagssonne. An einigen Stellen hingen weißliche Hautfetzen herab, die an den Rändern eingerollt waren, als seien sie in der Hitze eingetrocknet.
Eine breite Schleimspur zeigte die Richtung, aus der das Ding gekommen war – geradewegs aus Norden. Aber wie?
War es gekrochen? Das erschien Conrad absurd; warum sollte ein solcher Koloß sich kriechend fortbewegen müssen?
Und doch schien es so zu sein. Denn jetzt bewegte es sich wieder ein Stück weiter, wodurch auch der Grund für das unglaubliche Gebrüll offenbar wurde. Ein scharfkantiger Felsbrocken riß eine der Blasen auf, so daß eine gelbliche Flüssigkeit austrat, während das Ding vor Schmerz aufschrie.
»Es ist hilflos«, stellte Yanderman fest. »Wir brauchen uns nicht mehr darum zu kümmern.«
»Mit Vergnügen!« stimmte Conrad zu. »Aber was ... was ist das dort unten?«
»Wenn wir annehmen, daß es wirklich andere Welten gibt, von denen die Dinge stammen, dann muß es von einer kommen, auf der ...« Er machte eine Pause und schüttelte den Kopf, bevor er weitersprach. »Es muß von einer Welt kommen, wo ein Ding weniger als hier wiegt. Das gehört zu den Einzelheiten der ganzen Geschichte, die ich nie verstanden habe. Gewicht ist schließlich Gewicht, und man sollte denken – aber das ist jetzt unwichtig. Wir müssen uns vor allem mit der Tatsache beschäftigen, daß wir nur der Spur dieses Dings zu folgen brauchen, um dorthin zu gelangen, wo es hergekommen ist.«
»Sie meinen, wir sollten dorthin gehen?« Conrad starrte ihn erschreckt an. »An den Ort, wo die Dinge herkommen?«
Yanderman zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ist dir das erst jetzt aufgefallen?« fragte er ehrlich überrascht. »Wenn wir nach den Überlebenden suchen, deren Aufgabe es ist, die Dinge davon abzuhalten, in Massen auszubrechen, dann müssen wir dorthin gehen, wo sie wahrscheinlich zu finden sind – in den Mittelpunkt der Wüste. Bist du nicht derselben Meinung?«
»Eigentlich schon«, gab Conrad widerstrebend zu. »Aber ich wünschte, wir ...«
Yanderman klopfte ihm auf die Schulter. »Nur Mut!« sagte er. »Spätestens morgen nachmittag haben wir den Mittelpunkt erreicht – und damit sind alle Fragen beantwortet. Wahrscheinlich werden für jede beantwortete Frage ein Dutzend neue auftauchen, aber dagegen läßt sich kaum etwas tun.«
Conrad rang sich ein zustimmendes Lächeln ab, warf einen letzten Blick auf das verendende Ungeheuer und marschierte weiter hinter Yanderman her.
*
Als sie am Abend des gleichen Tages beim Essen saßen, erwähnte Yanderman plötzlich die Möglichkeit, daß die Überlebenden allen Fremden feindselig gegenübertreten könnten. Conrad stimmte zu, denn wenn Rost und die anderen Weisen von Lagwich einen Menschen aus der Wüste für einen Teufel gehalten hatten, dann war es nicht ausgeschlossen, daß die hier abgeschnitten lebenden Menschen – falls sie überhaupt existierten – ähnlich dachten, wenn sie Fremde kommen sahen.
Aber Yanderman hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt. Er zeigte Conrad die Karte, auf der östlich des Mittelpunkts eine Hügelkette eingezeichnet war. Wenn sie einen Umweg in diese Richtung machten, meinte Yanderman, fanden sie auf dem letzten Wegstück überall Deckung und konnten alles beobachten, bevor sie sich selbst zeigten.
Der Vorschlag schien vernünftig. Aber als Conrad am folgenden Nachmittag mühsam an den Felsen vorbei weiterstolperte, wünschte er sich wieder einmal weit fort von hier. Er hatte Durst, seine Füße waren voller Blasen, die Hände waren aufgeschürft und seine Schultern schmerzten unter der Last, die er zu schleppen hatte.
Aber dann vergaß er alle Beschwerden innerhalb weniger Augenblicke. Er lag neben Yanderman zwischen den Felsen ausgestreckt und hatte ein geradezu unglaubliches Bild vor sich, das alle seinen Visionen übertraf.
In einiger Entfernung vor ihnen erhob sich eine riesige Kuppel – so gewaltig, daß man den Kopf von
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