TTB 102: Die Wächter der Sternstation
der gegenüberliegenden Seite der Kuppel und schluchzte leise vor sich hin.
In dieser Zeit faßte sie nur einen Entschluß – sie wollte sich auf jeden Fall Jaspers Rache entziehen. Falls er tätlich wurde – was unwahrscheinlich war, weil er schon immer ein Feigling gewesen war –, wollte sie sich mit dem Messer wehren. Und wenn er sich indirekt an ihr rächte, indem er ihr das Leben zur Hölle machte, wollte sie die Station verlassen, wie ihr Vater es getan hatte. Lieber in der Wüste verhungern oder verdursten, als Jasper noch länger ertragen müssen!
Sie konnte sich an niemand um Beistand wenden. Wenn selbst Großvater davon überzeugt war, daß sie Jasper nur deshalb bei ihm anschwärzte, um ihn nicht heiraten zu müssen, dann war es besser, wenn sie freiwillig ihrem Leben ein Ende setzte.
Und sie konnte auch Jasper nicht an der Ausführung seines Plans hindern. Er hatte ihr nicht gesagt, auf welche Weise er sich an ihr rächen wollte, aber Nestamay ahnte bereits, was er vorhatte – eine kleine Schikane nach der anderen, bis sie vor Verzweiflung nicht mehr ein noch aus wußte. Wäre ihre Familie beliebter gewesen, dann hätte dieser Plan keine Aussicht auf Erfolg gehabt; aber Großvaters Herrschsucht machte ihn nicht gerade populär – und das wirkte sich auch auf seine Enkelin aus.
Dann hörte sie plötzlich Schritte.
Sie erstarrte und machte sich so klein wie möglich. Nur gut, daß die hereinbrechende Dunkelheit alle Umrisse verwischte. Aber Nestamays Befürchtungen erwiesen sich als überflüssig – die Schritte kamen nicht näher, sondern verhallten im Innern der Kuppel.
Das konnte doch nicht etwa Jasper gewesen sein? Oder doch?
Aber wer außer ihm sollte sonst die Station von dieser Seite aus zu betreten wagen, wenn sich draußen die Sonne bereits dem Horizont näherte?
Nestamay richtete sich vorsichtig auf und sah über die rostige Maschine hinter ihr in das Innere der Kuppel. Ohne Erfolg, denn in der Station herrschte ein ungewisses Halbdunkel, in dem alle Einzelheiten verschwammen.
Dann kamen die Schritte zurück, und sie duckte sich wieder. In diesem Augenblick drang ein schadenfrohes Murmeln an ihr Ohr.
»So, das geschieht der Hexe recht!«
Also doch Jasper; daran hatte sie jetzt keinen Zweifel mehr. Sie griff nach ihrer Axt. Wohin würde er sich wenden? Zurück zu Keefe und den anderen, oder nach Norden, wo die Hütten standen?
Geradewegs nach Norden. Sein Schatten strich über sie hinweg. Nestamay hörte, daß er zufrieden vor sich hin summte. Was konnte er in der verhältnismäßig kurzen Zeit ausgerichtet haben? Hatte er ihr vielleicht eine Art Falle gestellt? Nestamay brauchte nicht lange darüber nachzudenken, denn die Antwort ergab sich von selbst.
Sie kündigte sich durch einen lauten Krach an, dem ein heftiger Aufprall folgte. Nestamay sprang erschrocken auf. Hatte Jasper ihr eine Falle gestellt, die sich selbst auslöste?
Sekunden später wußte sie, daß ihre Vermutung nicht zutraf, denn der Lärm wurde jetzt von einem neuen Geräusch übertönt – dem wütenden Brüllen eines Tieres.
Dafür gab es nur eine Erklärung. Innerhalb der Kuppel war eben ein Ding ausgeschlüpft, und da die Alarmvorrichtung nicht funktioniert hatte, mußte Jasper sie außer Betrieb gesetzt haben!
Nestamay dachte nur noch an die anderen, die in höchster Gefahr schwebten, und rannte auf die Hütten zu, um vor dem Ding zu warnen. Jetzt verschwendete sie keinen Gedanken mehr an Jasper. Er hatte ein ungeheuerliches Verbrechen begangen, ohne dabei zu vermuten, daß das nächste Ding schon so bald auftauchen würde. Seiner Vorstellung nach hätte Nestamay sich plötzlich während ihrer Wache einem Ding gegenübersehen sollen, ohne vorher gewarnt worden zu sein.
Nicht einmal Großvater konnte ein so gemeines Verbrechen unbestraft lassen!
Nestamay rannte keuchend weiter, bis sie in Hörweite von Keefes Leuten angelangt war, die sich an der Südseite der Station versammelten, bevor sie die Suche abbrachen.
»Ein Ding ist gerade ausgebrochen!« schrie Nestamay mit lauter Stimme. »Groß ... noch innerhalb der Kuppel!«
Keefe drehte sich erstaunt um und starrte sie an. »Aber es ist doch kein Alarm gegeben worden!« meinte er überrascht.
»Die Alarmanlage ist außer Betrieb«, keuchte Nestamay. »Jasper hat sie ausgeschaltet!«
»Was?« Die anderen schüttelten ungläubig die Köpfe. »Aber das ist doch unmöglich!«
»Dann hat er sie eben unterbrochen!« gab Nestamay hitzig zurück. »Aber
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