Türkisgrüner Winter (German Edition)
Minuten noch eine lautstarke Diskussion geliefert, so herrschte jetzt eine Stille wie auf dem Friedhof zwischen uns.
Elyas soll mir einen Brief geschrieben haben …
Vor dem Badezimmer im Hause der Schwarz‘ hatte ich seine Erklärung als »lächerlich« bezeichnet. Sollte tatsächlich ein Brief existieren, würde seine Reaktion auf meine Aussage Sinn ergeben …
Was wohl drin stand?
»Aber spätestens anhand der E-Mail hättest du doch merken müssen, dass irgendetwas falsch gelaufen ist«, sagte Sebastian.
Ich hob den Kopf. »Welche E-Mail?«
»Na die Mail, die er dir nach dem Brief geschrieben hat.«
Okay. Allmählich verlor die ganze Sache ihre Glaubwürdigkeit. Zu dem verschwundenen Brief sollte jetzt also auch noch eine E-Mail kommen, die mich nicht erreichte?
»Nimm es mir nicht übel, Sebastian«, sagte ich, »aber so langsam wird mir das zu konfus. Ich habe weder einen Brief noch eine E-Mail erhalten. Findest du nicht auch, dass das ein bisschen viel des Zufalls ist? Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, Sebastian, dann finde ich das wirklich nicht lustig.«
Ihm klappte der Mund auf. »Ich schwöre dir, dass es so ist! Elyas war am Boden zerstört, als du selbst nach zwei Wochen nicht auf den Brief reagiert hast. Er wusste ja nicht mal, ob du ihn überhaupt gelesen oder am Ende gleich zerrissen hast. Weil er sich nicht getraut hat, bei dir anzurufen und nachzufragen, habe ich ihm geraten, dir eine E-Mail zu schreiben. Nur damit er Gewissheit hätte. Warum sollte ich das erfinden und dich anlügen?«
Ich beobachtete ihn. Meine Verdächtigung setzte ihm deutlich zu.
»Das war nicht böse gemeint, tut mir leid«, sagte ich und seufzte. »Ich kann mir nur nicht erklären, wie zwei Dinge verschwinden sollen.«
»Ja, da bin ich auch mit meinem Latein am Ende.« Er ließ die Hände auf seine Oberschenkel fallen. »Vielleicht ist die Mail in den Spamordner gerutscht oder was weiß ich. Fakt ist, sowohl E-Mail als auch Brief existieren. Ich würde mir nie einen Scherz über so etwas erlauben. Ich weiß, wie verfahren die Situation zwischen euch beiden ist.«
Wie auch während des gesamten Gespräches wirkte Sebastian aufrichtig. Trotzdem war das alles mehr als mysteriös.
Spamordner …
Natürlich konnte es passieren, dass eine Mail fälschlicherweise dort landete. Aber Elyas hatte mir schon so viele geschickt. Jede davon war in meinem Posteingang angekommen.
Ich massierte mir die Schläfen und schloss einen Moment die Augen. »Ich kann es mir zwar schwer vorstellen«, sagte ich, »aber wenn dem so ist, lässt sich das ja herausfinden. Wie lange werden Spammails ungefähr gespeichert, bis sie gelöscht werden?«
Sebastian zuckte die Achseln. »Ist wahrscheinlich von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich. Aber geschätzt würde ich sagen, ein bis zwei Monate.«
Ich begann zu rechnen. Am 3. November hatte ich herausgefunden, dass Elyas Luca war. Sieben bis vierzehn Tage später hatte er mir den angeblichen Brief geschrieben, und wiederum zwei Wochen danach die Mail. Letzteres lag also ungefähr einen Monat zurück. Wenn Sebastian recht hatte, dann könnte die Nachricht mit viel Glück noch da sein. Oder aber war mit viel Pech bereits gelöscht.
Normalerweise prüfte ich in unregelmäßigen Abständen meinen Spamordner, nur in den letzten Wochen hatte ich andere Sorgen gehabt, als mich um billiges und rezeptfreies Viagra zu kümmern. Auch als ich neulich meinen Posteingang durchgesehen hatte, war ich nicht auf die Idee gekommen, den Spamordner zu durchleuchten. Womöglich ein großer Fehler.
»Ich hoffe, dass sie dort gelandet und noch auffindbar ist«, sagte Sebastian. »Das wäre die einzig logische Erklärung.«
Ich fühlte mich, als wäre mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden. Alles, was ich in den letzten zwei Monaten versucht hatte zu akzeptieren, musste ich innerhalb weniger Tage wieder komplett infrage stellen. War es Elyas die ganze Zeit so ergangen wie mir? War er, wie mein Vater gesagt hatte, wirklich nur ein dummer Idiot, der alles falsch machte, was man nur falsch machen konnte?
Ich wollte mich mit den Fingern an diesen Strohhalm klammern, aber meine Finger waren steif. Mein Kopf schrie nach einer Auszeit. Wahrscheinlich würden nicht einmal drei bis vier Jahre Malediven ausreichen, um das gerade eben Erfahrene zu verdauen.
Ich erinnerte mich an die schlaflosen Nächte in Berlin, als ich vor mich hin geheult und dieses schreckliche Gefühl in meiner Brust hatte, das mich
Weitere Kostenlose Bücher