Türkisgrüner Winter (German Edition)
selbst nichts ausrichten kann und es demnach besser ist, Jessica Leuten zu überlassen, die es können.«
Elyas atmete schwer und schwieg einen Moment.
»Natürlich hast du Recht«, antwortete er. »Aber es ist einfach so–« Er brach ab und zuckte mit den Schultern.
»Man macht sich trotzdem Vorwürfe, hm?«
Er nickte stumm.
Unter der Bettdecke umfasste ich meine Knöchel. »Und es hat wirklich kein einziger von euch mit Jessica geredet?«
»Doch. Mit der Hilfe ihrer Mutter hat sie nach langem hin und her schließlich Yvonne zu sich gelassen. Ich weiß nicht, wie lange sie allein mit ihr war, aber es war eine gefühlte Ewigkeit. Als sie wieder kam, erzählte sie, dass Jessica uns aus dem Grund nicht sehen will, weil sie sich schämt und Angst hätte, wir würden ihr böse sein.
Ich bin dann einfach ohne zu überlegen in ihr Zimmer gegangen. Ich konnte nicht fassen, dass sie sich so einen Schwachsinn einredet. Es geht um sie, nicht um uns. Sie ist genug mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und das sind auch die einzigen, die jetzt Priorität haben.«
»Hat sie dich rausgeworfen?«
»Nein. Die anderen kamen auch dazu und gemeinsam konnten wir sie zumindest davon überzeugen, dass ihr niemand böse ist. Unangenehm war ihr die Situation trotzdem. Sie wollte kein Wort über den Selbstmordversuch sprechen. Die meiste Zeit saßen wir nur im Zimmer und haben geschwiegen.«
Elyas gab sich große Mühe, so sachlich wie möglich zu sprechen, aber wenn ich genau hinhörte, war da manchmal ein kleines Schwanken in seiner Stimme zu vernehmen.
»Wann wird sie … verlegt?«, fragte ich.
»Morgen früh. Zumindest waren das die Worte des Psychologen.«
»Ihr habt mit dem Psychologen gesprochen?«
»Nur kurz. Er möchte sich morgen um zehn Uhr mit mir und Yvonne unterhalten. Mit ihren Eltern hat er heute schon gesprochen, aber dabei kam wohl nicht allzu viel heraus. Sie wohnen weiter weg und haben in den letzten Jahren kaum etwas von den Problemen ihrer Tochter mitbekommen. Jessica hat ein schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern.«
Morgen früh um 10 Uhr? Mein Blick wanderte zum Wecker. Es war bereits 23:58 Uhr. Elyas hatte schon in der letzten Nacht kaum Zeit zum Schlafen gehabt und brauchte dringend Erholung, so wie er aussah.
Er fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und verweilte mit den Fingern in den Haaren.
»Aber deswegen bin ich nicht hier, Emely«, sagte er und sah mir direkt in die Augen.
Mein Puls stieg an und meine Hände wurden feucht. Ich bekam Angst.
KAPITEL 18
Der Anfang vom Ende
Ich schlang die Arme fester um die Beine. »Und weswegen bist du dann gekommen?«, fragte ich mit kaum hörbarer Stimme.
»Weil ich mit dir reden möchte. Über uns.«
Ich hielt die Luft an. »Elyas«, stammelte ich. »Wir müssen nicht heute darüber sprechen. Du bist todmüde und–«
»Es gibt wichtigere Sachen als Schlaf.« Seine Stimme klang sanft und doch entschlossen.
Ich schluckte und wandte die Augen auf meine Finger. So richtig wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte, also sagte ich einfach das, was mir durch den Kopf ging. »Wahrscheinlich hört sich das alles total unglaubwürdig für dich an. Aber es stimmt, was ich dir gestern in der SMS geschrieben habe. Mich hat nie ein Brief erreicht. Als du und ich, wir beide vor dem Badezimmer zusammengestoßen sind, da dachte ich, du würdest von unserem Streit im Treppenhaus sprechen.«
»Ich weiß. Ich habe mit Sebastian geredet.«
Ganz vorsichtig sah ich von meinen Fingern auf.
»Als ich gestern deine SMS gelesen habe«, sagte er und hob die Schultern. »Ich weiß auch nicht, es war wie ein Schock. Ich konnte dir nicht darauf antworten.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Elyas. Ich verstehe das. Du hast andere Sorgen im Kopf. Eigentlich dachte ich, du würdest noch viel mehr Zeit brauchen. Und dann stehst du auf einmal vor meiner Tür.«
Es war alles so irreal. Noch vor einer Woche, an Weihnachten, hatte ich kein einziges Wort mit ihm reden wollen, und jetzt saß ich ihm auf einmal in meinem Bett gegenüber und hatte jede Sekunde Angst, er würde damit aufhören.
»Ich bin überfordert, ich kann das alles gar nicht begreifen«, sagte er. »Du hast in dem Glauben gelebt, dass ich mich dir weder erklärt noch mich entschuldigt habe. Das tut mir so leid. Was musst du von mir denken? Und dann weise ich dich gestern auch noch so schroff ab.«
»Du wusstest es ja nicht.«
»Trotzdem.« Elyas schüttelte den Kopf. »Es soll keine blöde
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