Türkisgrüner Winter (German Edition)
dir schon erzählt, dass es mir damals, vor fast acht Jahren, ziemlich beschissen ging.« Wegen dem Kratzen in der Stimme räusperte er sich. »Ich entschied mich für London, weil ich es in Neustadt nicht mehr ausgehalten habe. Dir jeden Tag über den Weg zu laufen und dich mit diesem Typen zu sehen … Das ging einfach nicht mehr.«
Weit ausholen hatte er offenbar wörtlich gemeint. Lag in unserer Vergangenheit der Schlüssel zu den E-Mails? Ich erinnerte mich daran, wie es mir selbst zu dieser Zeit ging, und konzentrierte mich voll und ganz auf Elyas‘ Worte.
»Kevin und die Jungs konnten nie verstehen, was ich an dir fand. Sie machten sich lustig über mich, weil ich jedes Mal nervös wurde, wenn du irgendwo aufgetaucht bist. Aber eigentlich war mir das egal. Sie kannten dich nicht. Sie wussten nicht, wie besonders und einzigartig du bist.«
Elyas schob die Ärmel seines Pullovers ein bisschen nach oben. »Meistens war es nur pubertärer Blödsinn, den sie von sich gaben. Es war nichts Persönliches, sie waren einfach nur dumme Jungs, die es nicht besser wussten.«
»Kevin dagegen«, sagte er, »warst du ein richtiger Dorn im Auge. Warum genau, weiß ich bis heute nicht. Aber wenn er etwas über dich sagte, war es viel gemeiner, viel verletzender, als die Sprüche der anderen. Ich würde fast schon sagen, er hat dich gehasst.
Mehr als einmal habe ich versucht, ihm begreiflich zu machen, dass er sich in seiner Meinung irrt und er dich nur kennen lernen müsste. Daran hatte er aber nie Interesse.
Ich habe mich oft deinetwegen mit ihm gestritten. Kevin war mein bester Freund und gleichzeitig der einzige, der wusste, wie wichtig du mir wirklich warst. Seine Abneigung dir gegenüber war schlimm für mich und egal wie oft ich mich bemühte, daran etwas zu ändern, ich habe es nicht geschafft.«
Dass Kevin mich nicht hatte leiden können, war nicht neu für mich. Dennoch hatte das offenbar ausgeprägter stattgefunden, als mir bewusst gewesen war.
Es war komisch, die ganze Geschichte nun aus Elyas‘ Sicht zu erfahren. Zwar hatten wir schon vor längerem herausgefunden, dass es nur ein Missverständnis gewesen war und wir die Gefühle füreinander erwidert hatten, trotzdem war es etwas anderes, es im Detail aus seinem Mund zu hören.
Ich nickte Elyas zu und gab ihm das Zeichen, dass er fortfahren konnte. Ich spürte, wie schwer ihm das fiel.
»Nachdem ich dich geküsst habe und du mir wider Erwarten keine geklebt hast – da war ich …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich finde keine Worte, wie ich dieses Gefühl beschreiben soll. Eineinhalb Jahre war ich in dich verliebt gewesen und hatte nie den Mut aufbringen können, es dir zu sagen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, als ich dich plötzlich geküsst habe. Du sahst so traurig und gleichzeitig wunderschön aus. Keine Sekunde dachte ich an Konsequenzen oder meine Feigheit – ich musste dich in diesem Moment einfach küssen. Alles andere zählte nicht mehr.«
»Als du den Kuss dann erwidert hast …« Elyas öffnete und schloss den Mund, suchte nach den richtigen Worten. »Ich konnte es gar nicht glauben und wusste nicht, wie mir geschah. Noch Stunden danach war ich vollkommen durch den Wind und freute mich nur auf den Augenblick, in dem ich dich wiedersehen würde. Alena fragte mich sogar, ob ich irgendwelche Drogen genommen hätte.« Für ein paar Sekunden nahm ein Strahlen von Elyas‘ Augen Besitz, das mich ansteckte und alles so viel heller erscheinen ließ.
»Ich habe die ganze Nacht kein Auge zu bekommen und mir fest vorgenommen, dir am nächsten Tag zu sagen, wie sehr und wie lange ich dich schon mag. So nervös, dass eine Starkstromleitung ein schwacher Vergleich für den Zustand meiner Nerven gewesen wäre, ging ich schon eine dreiviertel Stunde vor Unterrichtsbeginn zur Schule und wartete dort auf nichts anderes als dein Eintreffen. Doch alle kamen, nur du nicht.«
Langsam ließ er den Satz ausklingen und mich spüren, wie er sich damals gefühlt haben musste. Ich konnte es nicht glauben. Vielleicht wäre alles noch gut gegangen, hätte ich nicht ausgerechnet an diesem Tag verschlafen.
»Ich habe auch die ganze Nacht wach gelegen«, sagte ich leise. »Nur bin ich irgendwann in den frühen Morgenstunden doch noch eingedöst. Deswegen habe ich am nächsten Tag den Wecker nicht gehört und verschlafen.«
Elyas zog die Augenbraue nach oben und ich las in seinem Gesichtsausdruck, dass er sich dieselbe Frage stellte wie ich. Hätte es
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