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Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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fest und versuchte sich wieder zu beruhigen. Es gab immer wieder Momente, in denen wir uns kurz und vorsichtig in die Augen sahen. So lange, bis einer von uns beiden den Blick wieder abwandte.
    »Wenn wirklich etwas an Domenics Version dran ist«, fuhr Elyas fort, »dann ist mir schon klar, dass er in einer beschissenen Situation gesteckt hat. Aber sollte ich deswegen Mitleid haben? Er hat seine Spielchen lange genug mit ihr getrieben und ist mitverantwortlich für das, was passiert ist. Wenn er sie schon auf die Straße setzt, hätte er jemanden von uns anrufen müssen.«
    Ich nickte. »Das stimmt, das wäre das Mindeste gewesen.«
    »Was mich am meisten wütend macht«, sagte Elyas, »war die Art und Weise, wie er über Jessica gesprochen hat. Von oben herab. Und Jan – oder nennen wir ihn besser seinen Schoßhund – hatte nichts Besseres zu tun, als Domenic andauernd den Rücken zu stärken. Egal was Domenic macht, Jan hält zu ihm.«
    Elyas presste die Lippen zusammen, ehe er weitersprach. »Es hat mich zur Weißglut getrieben, dass Domenic für sein bescheuertes Handeln auch noch Zuspruch bekam. Als er dann auch noch sagte, dass er überhaupt nichts für all das könne, Jessica eine Irre und lächerlich wäre, ist mir eine Sicherung durchgebrannt. Aus Reflex habe ich ihm eine gelangt.«
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Nichts weiter. Seine Lippe ist aufgeplatzt und er taumelte ein paar Schritte nach hinten. Jan ist ihm sofort zur Hilfe geeilt und Sebastian meinte, es wäre besser zu gehen.«
    Tja, wo Sebastian Recht hatte, hatte er Recht.
    »Ich weiß, ich habe gestern in der Notaufnahme ziemlich angsteinflößend gewirkt«, sagte Elyas. »Ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich es im Nachhinein bereue, Sophie so grob angepackt zu haben. Ja, sie hätte es uns sagen müssen – das finde ich nach wie vor. Aber ich hätte nicht handgreiflich werden dürfen.«
    »Hast du mit ihr darüber geredet?«
    »Ja. Ich habe mich bei ihr entschuldigt und ihr erklärt, dass ich große Angst hatte, Jessica würde sterben. Sie zeigte Verständnis und sagte, es wäre in Ordnung. Aber ich kann es mir selbst nicht verzeihen. Ich bin eigentlich nicht so, Emely. Ich bin nicht aggressiv. Domenic ist der zweite Mensch in meinem Leben, den ich geschlagen habe. Und Frauen habe ich vor Sophie noch niemals grob angefasst. Glaubst du mir das?«
    »Natürlich glaube ich dir das, Elyas«, antwortete ich. »Ich weiß es doch schon längst. Du brauchst dich nicht vor mir zu rechtfertigen. Du warst verzweifelt, in solchen Situationen handelt man nicht rational. Wichtig ist nur, dass man den Fehler einsieht und sich bei der Person entschuldigt.«
    Er reagierte nicht und sein Blick verlor sich im Raum.
    »Habt ihr auch mit Jessica gesprochen? Wie geht’s ihr und was hat sie gesagt?«
    Elyas‘ Gesichtsausdruck sah nicht danach aus, als hätte er gute Erinnerungen an den Besuch im Krankenhaus. »Nicht viel.« Er ließ die Schultern hängen. »Sie wollte keinen von uns sehen. Und mich gleich zweimal nicht.«
    »Ist sie dir böse?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er. »Ich glaube, sie weiß momentan überhaupt nicht, was sie denken soll. Sie ist überfordert mit der ganzen Situation, sie schämt sich. Und als ihr dann der Psychologe noch sagte, er könne eine Entlassung nicht verantworten und sie müsse mindestens für sechs Wochen in eine geschlossene Station, war sie endgültig mit den Nerven runter.«
    Ich schluckte. »Ich habe befürchtet, dass es so kommen wird.«
    »Ich auch«, erwiderte er. »Und ich fühle mich schäbig, weil …«
    »Weil?«
    »Weil ich irgendwie erleichtert darüber bin. Wir haben alles versucht, konnten ihr aber nicht helfen. Wie hätte die Zukunft aussehen sollen? Ich kann ihr nicht vierundzwanzig Stunden auf Schritt und Tritt hinterher sein, nur damit sie keine Dummheiten macht. Diese Verantwortung hätte mich erdrückt. Was, wenn sie es wieder versuchen und dann schaffen würde?«
    »Ich finde das ehrlich gesagt kein bisschen schäbig, Elyas, sondern nachvollziehbar.«
    »Und warum fühle ich mich dann so, als würde ich sie abschieben?«
    »Ich verstehe, dass du dich so fühlst. Sehr gut sogar. Ich kann nur von meiner Sichtweise reden, aber ich finde nicht, dass das Gefühl angebracht ist. Jessica braucht Hilfe«, sagte ich. »In einem Ausmaß, das ihr nicht bewerkstelligen könnt. Wie auch? Die Thematik ist nicht alltäglich und sehr schwierig. Dafür gibt es Fachleute. Man muss auch einsehen können, wenn man

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