Türkisgrüner Winter (German Edition)
den Kopf, der daraufhin sofort wieder zu hämmern begann, und öffnete den Mund. Das Gesicht verziehend, schluckte ich die bittere Medizin hinunter und griff nach dem Glas, das Elyas mir entgegenhielt.
»In ein paar Minuten wird es deinem Magen besser gehen«, sagte er.
Ich nippte an dem Wasser und nutzte es gleichzeitig zum Mund ausspülen. »Danke«, sagte ich. Er lächelte und ich fragte mich, warum er so lieb zu mir war. Eigentlich hatte ich das nach diesem Abend überhaupt nicht verdient.
»Hier, ich habe dir etwas zum Umziehen mitgebracht«, sagte er und faltete den Pullover vor mir auf. »Wir wollen doch nicht, dass du dich nach deinem kleinen Contest von vorhin noch verkühlst.« Irgendetwas Spitzbübisches lag in seiner Mimik. Als ich mir den Pullover genauer ansah, fand ich den Grund dafür. Er war hellgrau meliert, auf der Rückseite stand in großen, schwarzen Lettern »Elyas 01«.
»Komischerweise waren alle anderen in der Wäsche«, sagte er und zuckte mit den Schultern.
»Na, so ein Zufall aber auch«, antwortete ich heiser und konnte mir ein schwaches Schmunzeln nicht verkneifen. Das war einfach nur typisch Elyas und gleichzeitig irgendwie niedlich.
»Danke … Das ist lieb von dir«, sagte ich, was ihn zum Lächeln brachte.
»Also«, fuhr er vorsichtig fort. »Soll ich dir helfen beim Umziehen … Oder schaffst du das allein?«
Ich biss mir auf die Unterlippe und blickte ihn an. Den ganzen Abend war ich ihm hinterhergerannt, nur um wie ein hysterischer Teenie vor ihm zu flüchten, als er mich küssen wollte. Nachdem er trotz alldem noch mit mir hatte reden wollen, wusste ich nichts Besseres, als ihn zu beleidigen und mich volllaufen zu lassen. Und dann, als er im Schlafzimmer all seinen Mut zusammen genommen hatte und im Begriff gewesen war, mir seine Gefühle zu gestehen, war mir kurzerhand die Kotze hochgekommen.
Also was spielte es jetzt noch für eine Rolle, wenn er mich obendrauf in Unterwäsche sah?
Wäre ich nicht so schlapp und mir allein die Vorstellung zu anstrengend gewesen, mich selbst umzuziehen, hätte ich vielleicht ein Argument gefunden. Aber so wagte ich lediglich einen beschämten Blick in sein Gesicht und hob die Arme über den Kopf.
Elyas‘ Augen weiteten sich. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte. Er räusperte sich. »Keine Sorge, ich werde auch so tun, als würde ich nicht hinsehen.«
»Ich bitte darum«, sagte ich.
Elyas beugte sich nach vorne und hob den Saum meines T-Shirts an, um mir dieses danach behutsam über den Kopf zu ziehen. Meine Arme ließ ich in den Schoß fallen, verdeckte meinen Oberkörper ein bisschen. Derweil griff Elyas nach dem Pullover und half mir hinein. Der Stoff fühlte sich weich an. Kaum spürte ich ihn überall auf meiner Haut, sank meine Wange wieder auf die Klobrille. Ich kauerte mich zusammen und schlang die Arme um meinen krampfenden Magen.
Die Badezimmertür stand offen und vom Wohnzimmer drangen die leisen Töne von Jeff Buckleys »Hallelujah« an meine Ohren. Dem mitleidigen Blick nach zu urteilen, mit dem mich Elyas betrachtete, musste ich wohl ungefähr so aussehen, wie ich mich fühlte.
»Dir geht es richtig schlecht, oder?«, fragte er.
Mit den Fingerspitzen strich er mir eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn, während ich leicht mit dem Kopf nickte. Seine Augen waren ein türkisgrüner Ozean. Ich versuchte, mich allein darauf zu konzentrieren und alles andere um mich herum auszublenden. Ein bisschen gelang mir das. Seine Finger streichelten mir über die Schläfe und hinterließen ein schönes Gefühl an dieser Stelle.
»Wieso lässt du dich nur so zulaufen, Emely?«
Ich senkte den Blick und zuckte mit den Schultern.
»War die Vorstellung mich zu küssen so schlimm, dass du dich deswegen halb ins Koma trinkst?«
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen. Zum ersten Mal tat mir der sanfte Tonfall seiner Stimme weh. »Ganz … ganz und gar nicht«, sagte ich. »Es tut mir sehr leid, dass ich so dumm reagiert habe.«
»Und warum hast du so reagiert?«, wollte er leise wissen. In seinen Augen stand das Schlimmste, was mein schlechtes Gewissen dort hätte lesen können: Er hatte mir längst verziehen.
Es gab Situationen, da kam man mit Worten einfach nicht mehr weiter. Nichts, was ich hätte sagen können, hätte auch nur im Ansatz das ausgedrückt, was ich fühlte und was ich ihm mitteilen wollte. Ich löste mich aus meiner verkrampften Haltung und krabbelte
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