Türkisgrüner Winter (German Edition)
nicht vorstellen, aber ich fand dich eigentlich sehr niedlich gestern.«
Niedlich? Was hatte Elyas denn für eine Definition von niedlich ?
»Falls du duschen oder dich frisch machen möchtest«, sagte er, »kannst du das gerne tun. Ich habe dir ein Handtuch ins Bad gelegt und alles Weitere findest du im Schrank.«
»Okay?«, fragte er geduldig.
Doch ich schämte mich zu sehr, um zu antworten. Am liebsten wäre mir gewesen, wenn ich ihm niemals wieder unter die Augen hätte treten müssen. Das stellte sich jedoch als relativ schwierig heraus, wenn ich mich in seiner Wohnung befand. Könnte ich nicht einfach heimlich aus dem Fenster klettern?
Im wievielten Stockwerk waren wir nochmal?
Mist.
»Okay?«, versuchte er es erneut.
Mehr als ein »Hm« brachte ich nicht zustande und hoffte, dass er ganz schnell ganz weit weg sein würde. Stattdessen fühlte ich seine Hand, die sich auf die Decke legte und mich durch diese hindurch streichelte. »Es war wirklich nicht so schlimm«, sagte er. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Nur allzu gerne hätte ich ihm geglaubt, aber leider war mir das momentan nicht möglich. Ich hörte, wie er sich Richtung Tür bewegte, ein leises Knarren und Klicken, mit dem diese geschlossen wurde, und lauschte seinen Schritten draußen im Flur, bis sie endgültig verstummt waren. Er war weg.
Tief atmete ich durch.
Doch was blieb, waren die Bilder.
Er hatte mich von sich geschoben, nachdem ich ihm den Gürtel geöffnet hatte, und mich gefragt, was das sollte …
Und ab dieser szenenhaften Erinnerung legte sich plötzlich ein Schalter in meinem Kopf um. Der trübe Nebel schwand, meine Gedanken wurden klarer und ich konnte mich an jedes einzelne Detail erinnern, das danach passierte. Der zornige Ausdruck seiner Augen, weil ich ihm unterstellt hatte, er habe mich nur deswegen mit in seine Wohnung genommen … Sein Geständnis, dass er mich mehr als nur mögen würde … Sein erschrockener Blick, als ich mir die Hand vor dem Mund geschlagen hatte und an ihm vorbei ins Bad gerauscht war.
Ich hatte vor ihm gekotzt.
Er hatte mich ausgezogen.
Ich verzerrte das Gesicht und hoffte vergebens, dass der Erdboden meinen Gebeten nachkam und sich endlich auftat. Als ich schon die Vorteile an meinem Aufenthalt im fünften Stock zu sehen begann und einem Fenstersprung gar nicht mehr so abgeneigt war, passierte auf einmal etwas Unerwartetes. Als hätte ich in einem Bildband geblättert, in dem eine Abbildung grausiger als die andere war, schlugen meine Gedanken eine neue Seite auf, und von dort ab ging es ganz anders weiter, als man bei der ersten Seite jemals vermutet hätte. Plötzlich wurden die Erinnerungen … schön .
Es war im Bad. Wir hatten uns im Arm gehalten. Ich gestand ihm, warum ich so albern reagierte und er nahm es mit Verständnis auf. Er trug mich ins Bett. Wir kuschelten miteinander. Ich spürte seine Lippen auf meiner Stirn. Und dann … dann sagte er mir, dass er mich liebte.
Für einen Moment wurde es ganz still um mich herum.
Der Satz war so einfach, so simpel, wurde täglich mindestens eine Millionen Mal missbraucht und dahingesagt. Dennoch lag in diesen drei Worten eine so große Bedeutung, dass ich mich ihr nicht entziehen konnte.
»Ich liebe dich, Emely.«
In meinem ganzen Körper begann es zu kribbeln. Es wurde warm in meiner Brust.
Elyas liebte mich …
Ungefähr einen Zentimeter weit wagte ich es, mir die Decke vom Kopf zu ziehen und spitzte darunter hervor. Eigentlich hatte ich selbst gehört, wie Elyas aus dem Raum gegangen war, nun wünschte ich mir, ich hätte mich getäuscht. Aber das hatte ich leider nicht. Ich blickte an die Stelle, auf der er vorhin gesessen hatte und spürte wieder das starke Gefühl von Reue in mir aufkommen. Vielleicht hatte ich ihm manchmal ein bisschen unrecht getan in den letzten Monaten. Wenn er wirklich nur auf das Eine aus gewesen wäre, dann hätte er sich die Chance von letzter Nacht nicht entgehen lassen. Oder doch?
Ich kroch gänzlich unter der Decke hervor und legte den Kopf aufs Kissen. Sein Geruch hing in den Laken. Ich lächelte.
»Ich liebe dich, Emely.«
Die Augen geschlossen, erinnerte ich mich daran, wie wir gestern hier gelegen und uns im Arm gehalten hatten. Wenn ich mich ganz fest darauf konzentrierte, konnte ich es sogar spüren …
Doch mit einem Mal machte ich die Augen wieder auf. Moment! Wer sagte mir, dass all das tatsächlich passiert war? Vielleicht war ich auf dem blöden Klo eingeschlafen und den
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