Türkisgrüner Winter (German Edition)
Schrank.
Ich streifte mir meine Messenger-Bag über die Schulter, schaltete das Handy auf lautlos und steckte es in die Hosentasche. Danach begab ich mich in Richtung Hörsaal. Wie immer setzte ich mich dort auf einen Platz in der Mitte, nah an der Wand. Nachdem ich den kleinen Tisch hochgeklappt hatte, blickte ich nach vorne an die Tafel und konnte das Thema »Lyrik im 18. Jahrhundert« lesen.
Ich war mir nicht ganz sicher, was Elyas mit Lyrik im 18. Jahrhundert zu tun hatte, Fakt war jedoch, dass er die Hauptrolle darin spielte. Zumindest in meinem Kopf. So sehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es nicht mal für eine Sekunde, mich auf die Vorlesung zu konzentrieren. Vor meinen Augen sah ich immer nur sein Gesicht und in meinen Ohren hörte ich nichts anderes, als den Nachklang der Klaviermelodie. Nach zwanzig Minuten wurde ich zum ersten Mal in die Realität geholt. Mein Handy vibrierte. Unauffällig zog ich es aus der Tasche hervor.
»Nicht rangehen«
Ich könnte dich umbringen. Ja, du hast richtig gehört, umbringen. Noch niemals hast du mich angerufen. Und jetzt muss ich lesen, dass du es wolltest, aber nicht getan hast. Wieso tust du mir das an? Ich schwöre dir, ich wäre gestorben, wenn mein Handy nachts geklingelt und ich im nächsten Moment deine Stimme gehört hätte.
Und dann sagst du auch noch so zuckersüße Worte über die CD. Du hast keine Ahnung, wie sehr es mich freut, dass sie dir gefallen hat. Du warst sogar sprachlos? Emely, du willst mich fertig machen, oder? Du gibst nicht eher auf, bis du mich ruiniert hast, stimmt‘s? Ja ja, dein Plan ist durchschaut, Fräulein!
»Emely«
Haha, du bist so ein Blödmann! Wie kann man am frühen Morgen schon so schamlos übertreiben? Aber ja, die CD ist toll. Und ich bin nicht nur sprachlos, sondern habe zusätzlich ständig einen Ohrwurm im Kopf, für den du verantwortlich bist.
»Nicht rangehen«
Einen Ohrwurm?
Leider muss ich dich enttäuschen, meine Liebe, denn ich übertreibe kein Stück. Wie wäre es, wenn ich dich jetzt abhole und wir frühstücken gehen?
»Emely«
Du meinst, ich sollte von meinem Vorhaben, dir nach diesem peinlichen Abend nie wieder unter die Augen treten zu wollen, abkommen?
»Nicht rangehen«
Das ist dein Vorhaben? Das ist vollkommen inakzeptabel!
»Emely«
Sie sind heute äußerst witzig, Herr Schwarz, das muss man Ihnen lassen. Doch selbst wenn ich das Opfer bringen und von meinem Vorhaben absehen sollte – ich kann leider nicht. Ich habe in der Uni heute den gesamten Tag volles Programm und so kurz vor dem Semesterende kann ich mir Blaumachen nicht leisten.
Wo wir gerade davon sprechen … Wäre es nicht auch für dich mal wieder an der Zeit, deine Universität von innen zu sehen?
»Nicht rangehen«
Nun ja, da Sie mir gerade eiskalt eine Abfuhr erteilt haben, Frau Winter, bleibt mir wohl keine andere Wahl, als dort mal kurz aufzukreuzen.
Was machst du heute Abend?
»Emely«
Bis jetzt noch nichts.
Falls irgendwo eine Party ist – viel Spaß!
»Nicht rangehen«
Haha, nein, keine Party. Ich würde dich einfach nur gerne sehen.
Mir fällt gerade ein, dass heute Abend in dem Park, indem wir uns vor ein paar Monaten beim Joggen getroffen haben, eine Coverband spielt. Würdest du vielleicht mit mir dahin gehen wollen?
»Emely«
Vielen Dank, Herr Schwarz, dass Sie mich an das Erlebnis erinnern, als ich mit krebsrotem Kopf vor Ihnen umgekippt bin. Ich hatte es bereits so schön verdrängt.
Coverband hört sich allerdings gut an. Ich würde sehr gerne mit dir dort hingehen.
»Nicht rangehen«
Moment – entschuldige, Emely, dass ich hier noch einmal nachhaken muss, aber: Hast du mir wirklich gerade zugesagt oder habe ich mich verlesen?
»Emely«
Ich finde es auch seltsam, aber ich glaube, das habe ich tatsächlich getan …
»Nicht rangehen«
Okay, jetzt bin ich sprachlos. Heißt das, wir werden heute unser allererstes Treffen haben, bei dem du freiwillig erscheinst?
»Emely«
Ich denke, so könnte man es bezeichnen.
»Nicht rangehen«
Du machst mich gerade sehr glücklich, weißt du das? Ich werde dich um 21 Uhr abholen, wenn das in Ordnung für dich ist.
»Emely«
21 Uhr ist super. Dass ich deinetwegen gerade rot werde, dagegen eher weniger.
»Nicht rangehen«
Ich verbiete dir hiermit strikt, in meiner Abwesenheit rot zu werden. Wenn du das tust, dann möchte ich auch dabei sein. Glaubst du, du kannst das in Zukunft einhalten?
Liebe Emely, du wirst sicher verstehen, dass ich jetzt mein Handy ausschalten werde. Es tut mir
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