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Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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gewählt.
    »Wie meinst du das?«, fragte ich.
    »Ganz einfach, Emely. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand derart berechnend ist und so weit gehen würde. Warum sollte er das tun? Warum sollte er dir ein halbes Jahr hinterherrennen, nur mit der Absicht dich zu verletzen? Was hätte er davon?«
    Diese Fragen waren mir nicht neu, ich hatte sie mir selbst an die tausendmal gestellt und bisher keine Antwort darauf gefunden.
    »Manche Menschen sind einfach schlecht, das will ich nicht abstreiten«, sagte mein Vater. »Und oft findet man auch keine Erklärung, warum sie Schlechtes tun. So geht es mir jeden Tag, wenn ich die Zeitung aufschlage und die Nachrichten lese. Aber bei der Geschichte, die du erzählt hast, Emely, komme ich nicht umhin, sie auch noch aus einer anderen Sichtweise zu betrachten. Nämlich aus der eines Mannes. Es gibt eine Sache, der sind wir nicht gewachsen: Frauen . Wenn Männer sich verlieben, werden sie zu den hilflosesten Geschöpfen auf Mutter Erden.«
    Was war das denn bitte für eine komische Theorie? Zumindest eine sehr waghalsige, wie ich fand.
    »Ihr Frauen habt viel mehr Macht, als ihr denkt«, fuhr er fort. »Ihr hängt euch an Kleinigkeiten auf und haltet euch an körperlichen Mäkeln fest, die dem gesellschaftlichen Maßstab von ›perfekt‹ nicht entsprechen. Ihr rennt immer irgendwelchen Idealen hinterher. Ideale, die es nicht gibt. Wenn eine Frau – egal welche – es richtig anstellt, kann sie fast jeden Mann von sich überzeugen. Aber Frauen werden sich ihrer Macht meistens erst nach zehn Jahren Ehe bewusst. Und dann wird es bitter für uns.« Mein Vater seufzte schwer und ich musste ein bisschen schmunzeln.
    Nach einer Weile wanderte mein Blick zurück auf den See, verlor sich im dichten Nebel. Ich gab mir Mühe, die Thesen meines Vaters in Betracht zu ziehen, aber so richtig wollte es mir nicht gelingen.
    »Was hat er denn gesagt?«, fragte er.
    »Wie meinst du?«
    »Der Mann. Was sagte er, nachdem herauskam, dass er dir die E-Mails geschrieben hat? Du hast ihn doch sicher zur Rede gestellt, oder? Hat er es zugegeben? Oder stritt er ab, dass er dich nur reinlegen wollte?«
    Joah …
    Hm …
    Puh …
    Gute Frage.
    »Irgendwie beides«, sagte ich.
    »Beides? Gib es doch mal genau wieder. Was hat er gesagt?«
    »Na ja, das Übliche«, antwortete ich. »Es täte ihm leid, er hätte einen Fehler gemacht und so weiter. Eben das, was man sagt, wenn man auf frischer Tat ertappt wird.«
    »Und wie hat er sich erklärt? Er muss doch gesagt haben, warum er das getan hat?«
    »Na ja, weil er mich aushorchen wollte.«
    »Das hat er wortwörtlich zugegeben?«
    Ich nickte. »Was blieb ihm auch anderes übrig? Schließlich war es offensichtlich. Er konnte es nicht mehr abstreiten.«
    »Hm«, machte Karsten, verschränkte die Hände vor dem Bauch und ließ die Daumen kreisen. »Das ist natürlich schon ein starkes Stück. Klingt leider tatsächlich eher nach meiner ersten Theorie.«
    Ich tendierte ja ebenfalls zu Theorie Nummer eins, aber vielleicht sollte ich doch noch eine Kleinigkeit erwähnen?
    »Gut«, sagte ich leise. »Es könnte unter Umständen sein, dass ich ihn auch nicht wirklich habe zu Wort kommen lassen. Aber was hätte es da noch zu erklären geben sollen?«
    Aus einem mir unerfindlichen Grund stahl sich ein dezentes Grinsen auf den Mund meines Vaters. »Das hätte ich mir eigentlich denken müssen. Er hatte bestimmt keine große Chance, sich zu erklären.«
    Ich verdrehte die Augen und lehnte mich zurück.
    »Wie lange ist es her, dass alles rauskam?« fragte mein Vater.
    »Es war etwa zweieinhalb Wochen vor meiner Ankunft in Neustadt.«
    »Verstehe«, sagte er. »Hat er danach noch mal den Versuch unternommen, mit dir zu reden?«
    »Nein, ich habe nichts mehr von ihm gehört«, antwortete ich. »Wobei«, fiel es mir ein. »Er hatte nachts einmal angerufen und aufgelegt. Zumindest glaube ich, dass er es war.«
    »Das ist natürlich schon arm. Wenn ihm etwas an dir liegt, sollte man meinen, dass er die Dinge eigentlich geraderücken möchte.«
    Ich konnte meinem Vater nur beipflichten.
    »Und wenn du von dir aus das Gespräch noch einmal suchst?«, fragte er.
    »Ich?« Meine Augen weiteten sich. Ich hatte zwar definitiv masochistische Anwandlungen, aber so krass war ich nun auch wieder nicht drauf!
    »Ich meine nur, für dich selbst«, sagte er. »Für mich klingt es, als wären noch eine Menge Fragen offen. Und auch wenn du ihn einerseits verurteilt hast, scheinst du

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