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Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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dir andererseits mit dem Urteil nicht einhundert prozentig sicher zu sein.«
    An meiner Jackentasche befand sich ein Bändel, mit dem man den Reißverschluss auf- und zuziehen konnte. Ich nahm es zwischen die Finger, fuhr es entlang bis zum Knoten, und dann wieder zurück. Immer wieder.
    »Solange es noch Fragen oder auch nur den kleinsten Zweifel gibt, wirst du mit der Sache nicht abschließen können«, fuhr mein Vater fort. »Niemand zwingt dich dazu, wenn du das absolut nicht möchtest, aber sieh es als gut gemeinten Rat. Es geht um Klarheit und weniger darum, was aus dem Gespräch letzten Endes resultieren wird. Das ist wieder ein ganz anderes Thema. Selbst wenn er nur ein Idiot sein sollte, hat er sich eine Menge geleistet. Und es läge ganz bei dir, ob du ihm das verzeihen kannst oder nicht.«
    Ich spürte, wie mir seine Worte auf den Magen schlugen. Ich sollte noch einmal mit Elyas sprechen? Ihm unter die Augen treten? Ihm ins Gesicht blicken?
    Allein die Vorstellung überforderte mich.
    »Doch davon abgesehen, Emely, weißt du, was mindestens genauso wichtig ist?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du kannst ihn dafür hassen. Wenn er das wirklich nur getan hat, um dich zu verletzen, dann hat er nichts anderes verdient. Aber du musst damit aufhören, dir selbst die Schuld daran zu geben.«
    »Aber ich war so dumm, Papa. So unglaublich dumm. Ich hätte es wissen müssen.«
    »Emely«, sagte er. »So wie ich dich kenne und du mir die Geschichte erzählt hast, war dein Verhalten alles andere als naiv. Im Gegenteil, du hast es dem Mann auf jede erdenkliche Weise schwer gemacht. Was hättest du noch tun sollen? Ich wette, jede andere Frau hätte sich schon viel früher auf ihn eingelassen. Er muss sehr überzeugend gewesen sein, dass er es geschafft hat, dein Vertrauen zu gewinnen. Umso schlimmer, wenn er es wirklich nur missbraucht haben sollte. Aber das ist nicht deine Schuld. Dafür kannst du nichts. Du musst aufhören, immer dich selbst infrage zu stellen. Du hast keinen Fehler begangen. Er ist derjenige, der sich Selbstvorwürfe machen sollte. Du hast dich einfach nur verliebt – wenn auch vielleicht in den Falschen. Aber dagegen kann man nichts tun, das passiert und hat nichts mit Dummheit zu tun.«
    Natürlich waren seine Worte einleuchtend, aber wie sollte man so denken, wenn man gerade mittendrin steckte? Elyas hatte mir schon einmal das Herz gebrochen und ich hatte mich trotzdem wieder auf ihn eingelassen. Wie sollte ich mir daran nicht die Schuld geben? Wie sollte ich mich dafür nicht hassen?
    Der Blick meines Vaters ruhte auf mir, das spürte ich. Mein Kopf war gesenkt.
    »Er hat dir wirklich sehr, sehr wehgetan, oder?«
    Ein Nicken war mir noch nie so schwer gefallen wie in diesem Moment.
    Mein Vater legte mir den Arm um die Schulter und zog mich an sich. »Ich weiß, dass man immer denkt, es würde niemals besser werden. Aber eines Tages wirst du aufwachen und feststellen, dass es besser geworden ist. Vertrau mir, meine Kleine.«
    »Ich weiß«, murmelte ich.
    »Bis dahin ist es ein langer Weg, aber ein Weg, den du schaffen wirst. Irgendwo da draußen wartet dein Mann auf dich, du hast ihn nur noch nicht gefunden. Es klingt so abgedroschen, aber es ist die Wahrheit: Auf jeden Topf passt ein Deckel, Emely.«
    »Dann bin ich wohl eine Bratpfanne …«
    Mein Vater lachte. »Nein, du bist keine Bratpfanne. Du bist ein kluger, witziger und ganz, ganz, ganz besonderer Topf. Auf dich passt eben nicht jeder Deckel. Aber das hat nichts Schlechtes zu bedeuten. Ganz im Gegenteil.«
    »Danke, Papa«, sagte ich und seufzte. »Du bist lieb. Aber leider viel zu naiv.«
    Wieder lachte er und drückte mich noch ein bisschen fester an sich. »Das hat nichts mit Naivität zu tun. Es gibt Sachen, die weiß man einfach. Und diese Sache weiß ich nicht nur, sondern spüre sie tief in meinem Herzen.«
    Den Kopf an seine Schulter gelehnt, schloss ich die Augen. Egal wie alt ich war, in den Armen meiner Eltern fühlte ich mich wieder wie ein Kind.
    Als ich sechs Jahre alt war, hatte ich eine Monstermotte in meinem Zimmer gehabt. Sie flog immer wieder gegen die Lampe und ich schrie und kreischte und rief panisch »Papa! Papa! Papa! Hilfe! Papa!«. Das Vieh war riesig! Mein Vater kam, holte ein Glas und fing die Motte ein. Er stellte es auf den Boden, ging in die Hocke und nahm mich auf den Schoß. Ich klammerte mich um seinen Hals und konnte am Anfang gar nicht hingucken, das wusste ich noch. Aber mein Vater begann

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