Türkisgrüner Winter (German Edition)
während mein Kopf von der Fensterscheibe hoch schnellte, fasste ich mir ans Herz. »Mensch, Mama, kannst du nicht anklopfen?«
»Wieso?«, fragte sie. »Du hast doch keinen Freund zu Besuch.«
Herzlich willkommen in der Gedankenwelt meiner Mutter: Solange man in keiner Beziehung war, hatte man auch kein Anrecht auf Privatsphäre. Anstatt zu antworten, verdrehte ich die Augen.
»Du hast dich noch gar nicht umgezogen«, sagte sie.
Ich blickte an mir herunter. »Eigentlich hatte ich nicht vor, mich umzuziehen.«
»Du willst dich nicht mal an Weihnachten ein bisschen schick machen?«
»Mama, ich besitze nichts Schickes . Zumindest nichts, was du als solches definieren würdest.«
»Das wollen wir ja mal sehen«, sagte sie, marschierte zum Kleiderschrank und riss die Türen auf. Mit einem Seufzen rutschte ich von der Fensterbank, verschränkte die Arme vor der Brust und stellte mich hinter sie.
»Schau mal, Emely! Das wäre doch süß!«
Ich lugte über ihre Schulter und sah ein giftgrün gemustertes Kleid in ihren Händen. Das war ungelogen das grässlichste Stück Stoff, das ich jemals gesehen hatte. Wo kam das her? Hatte mir das am Bahnhof jemand in den Koffer gesteckt, damit ich es über die Grenze schmuggeln sollte? Wäre ich erwischt worden, wäre ich bestimmt in den Knast gekommen.
»Ich wusste gar nicht, dass du so etwas Tolles besitzt«, sagte sie begeistert.
Ja, das hatte ich auch nicht gewusst. Doch je länger ich das Kleid musterte, desto bekannter kam es mir auf einmal vor. Und dann machte es Klick.
»Jetzt weiß ich, woher das ist. Du hast mir das geschenkt! Und weißt du, wann?«
Sie hob die Schultern.
»Zu meinem zwölften Geburtstag!«
Ich hatte das Kleid nicht mitgebracht, es hing seit damals im Schrank.
Sie rieb den Stoff zwischen ihren Fingern. »Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Aber ist ja auch egal, woher es kommt. Los, zieh es an.«
»Soll das ein Witz sein? Du willst mir ernsthaft ein Kinderkleid andrehen?« Von dessen Hässlichkeit ganz zu schweigen.
»Warum denn nicht?«
»Mama«, sagte ich und atmete tief durch. »Schlag dir das aus dem Kopf. Ich werde es ganz sicher nicht anziehen.«
Sie murmelte unverständliches Zeug vor sich hin und stopfte das Kleid zurück in den Schrank. »Du kannst einem den ganzen Spaß verderben«, sagte sie. »Dabei hast du so schöne Beine.«
»Erstens stimmt das nicht und zweitens: Wem soll ich sie zeigen? Ingo?«
»Manchmal wünschte ich, du wärst ein bisschen mehr wie Alex.«
Ich ignorierte diesen Kommentar und richtete mein Augenmerk stattdessen darauf, welche Schandtat sie als Nächstes aus dem Kleiderschrank bergen würde. Wie sich herausstellte, waren es einige.
Erst nach zwanzig Minuten konnten wir uns auf einen schwarzen kaschmirähnlichen Rollkragenpullover und eine dazu passende dunkelblaue Jeans einigen.
»Beeilst du dich mit dem Umziehen? Wir wollen in zehn Minuten losfahren.«
Ich blickte zum Wecker. Es war kurz nach 18 Uhr. Um halb sieben waren wir bei den Schwarz‘ eingeladen.
»Okay, kein Problem«, sagte ich, schlängelte mich an ihr vorbei und ging ins Badezimmer. Ich schlüpfte in die neuen Klamotten und versuchte meine Haare zu glätten, was letztendlich damit endete, dass ich sie mir zu einem Dutt nach oben band.
Eigentlich machte ich mir nichts aus Weihnachten. Für mich war das ein Tag wie jeder andere. Den Wirbel, der darum gemacht wurde, hatte ich noch nie verstanden. Trotzdem freute ich mich auf heute Abend. Endlich konnte ich Alena, Ingo und Alex wiedersehen. Letztere war erst heute Morgen in Neustadt angekommen und hatte mir bereits per SMS geschrieben, dass sie Sebastian dabei hätte.
Einerseits mochte ich ihn sehr gerne, anderseits löste die Vorstellung, auf ihn zu treffen, leichtes Unbehagen bei mir aus. Immerhin war er Elyas‘ bester Freund und wusste über alles Bescheid. Wenn nicht heute, hätte ich ihm aber irgendwann bei der nächsten Gelegenheit sowieso wieder unter die Augen treten müssen und so versuchte ich ihn als Mann an Alex‘ Seite zu sehen. Gleichgültig, mit wem er noch befreundet war.
Ich zog die Mundwinkel nach oben und grinste in den Spiegel. Ob man mir dieses Lächeln abnehmen würde? Ich war unsicher, aber schließlich gelang es mir schon seit zwei Monaten, die Leute um mich herum damit zu täuschen. Zumindest fast immer. Für einen Abend sollte das wohl zu schaffen sein.
Nachdem ich das Badezimmer verlassen hatte, ging ich in mein Zimmer zurück und holte die Geschenke.
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