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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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Schornsteinen und sammelten sich sanft wogend unter der Gesteinsdecke, während die riesigen Ventilatoren Frischluft in die Kaverne bliesen.
    Rebecca hielt Sarahs Hand und zog sie mit sich. Hinter ihnen ertönte das Klappern von Hufen und eine zweite Kutsche fuhr vor. Sarah blieb stehen, widersetzte sich Rebecca und drehte sich zu dem Fahrzeug um. Durch das Kutschenfenster konnte sie die Silhouette von Joe Waites erkennen. Dann wirbelte sie wieder herum und wandte sich der Zeile identisch aussehender Reihenhäuser am Straßenrand zu. Die Straße war vollkommen leer, was ihr für diese Uhrzeit sehr merkwürdig erschien, und sofort wuchs ihr Unbehagen wieder.
    »Ich dachte, du hättest bestimmt keine Lust, dich von den Leuten anstarren zu lassen«, sagte Rebecca in dem Moment, als wüsste sie, was Sarah durch den Kopf ging. »Deshalb habe ich das Gebiet absperren lassen.«
    »Ah«, sagte Sarah leise, »und er ist auch nicht hier, oder?«
    »Wir haben uns genau an das gehalten, was du verlangt hast.«
    In der Erdhöhle in Highfield hatte Sarah eine Bedingung gestellt: Der Gedanke, ihren Mann nach all den Jahren wiederzusehen, war für sie unerträglich – ob es nun daran lag, dass die Begegnung Erinnerungen an den Tod ihres Kindes wecken würde, oder daran, dass sie mit ihren eigenen Gefühlen des Verrats ihrem Mann gegenüber nicht umgehen konnte.
    Noch immer hasste und … liebte sie ihn, wenn sie ganz ehrlich war.
    Wie in einem Traum näherten sie sich nun ihrem Haus. Es sah vollkommen unverändert aus, als hätte sie es erst am Tag zuvor verlassen und als hätten die vergangenen zwölf Jahre überhaupt nicht stattgefunden. Sarah war wieder zu Hause, nach all den Jahren auf der Flucht, in denen sie wie ein Tier von der Hand in den Mund gelebt hatte.
    Vorsichtig berührte sie die tiefe Schnittwunde an ihrer Kehle.
    »Keine Sorge, es sieht nicht allzu schlimm aus«, sagte Rebecca und drückte Sarahs Hand.
    Da war es schon wieder: Ein Styx-Kind – Brut des übelsten Abschaums, den man sich vorstellen konnte – versuchte, sie zu trösten! Das Mädchen hielt ihre Hand und tat so, als wäre sie ihre Freundin. War die Welt nun vollkommen verrückt geworden?
    »Bereit?«, fragte Rebecca, und Sarah wandte sich dem Haus zu. Als sie es das letzte Mal gesehen hatte, hatte ihr totes Kind darin gelegen, in dem Raum dort oben – ihrem Schlafzimmer. Sarahs Blick wanderte zum Fenster im ersten Geschoss, wo sie in jener schrecklichen Nacht stundenlang neben der Wiege gesessen hatte. Als sie ihre Aufmerksamkeit auf das Wohnzimmerfenster richtete, tauchten vor ihrem inneren Auge Bilder aus dem gemeinsamen Leben mit ihren beiden Söhnen auf: wie sie ihre Kleidung gewaschen und geflickt, morgens die kalte Asche aus dem Kamin gefegt und ihrem Mann eine Tasse Tee gebracht hatte, während er die Zeitung las. Aber auch Erinnerungen an die tiefe, sonore Stimme ihres Bruders kehrten zurück, an sein dröhnendes, ansteckendes Lachen. Ach, wenn er doch nur noch leben würde. Lieber, lieber Tarn.
    »Bereit?«, fragte Rebecca erneut.
    »Ja«, erwiderte Sarah entschlossen. »Ich bin bereit.«
    Langsam gingen sie den Vorgartenweg hinauf, doch als sie die Haustür erreichten, schreckte Sarah zurück.
    »Es ist alles okay«, gurrte Rebecca beruhigend. »Deine Mutter erwartet dich schon.« Sie marschierte durch die Tür, und Sarah folgte ihr in die Diele. »Sie sitzt im Wohnzimmer. Geh einfach rein. Ich werde draußen auf dich warten.«
    Sarahs Blick wanderte über die vertraute grün gestreifte Tapete mit den ernsten Porträts der Vorfahren ihres Mannes, Generationen von Männern und Frauen, die in ihrem ganzen Leben nicht ein einziges Mal das gesehen hatten, was sie gesehen hatte – die Sonne. Behutsam berührte sie den rauchblauen Schirm einer Lampe auf dem Flurtisch, als wollte sie sichergehen, dass das Ganze real war … dass sie sich nicht in den Fängen irgendeines bizarren Traums befand.
    »Nimm dir so viel Zeit, wie du willst«, sagte Rebecca, machte dann auf dem Absatz kehrt und marschierte steif aus dem Haus, sodass Sarah allein zurückblieb.
    Sarah holte tief Luft und ging dann ungelenk wie ein Roboter ins Wohnzimmer.
    Im Kamin brannte ein Feuer, und der Raum sah aus wie immer – vielleicht ein wenig abgenutzter und rauchgeschwängerter, aber noch immer warm und gemütlich. Leise ging sie über den fadenscheinigen Perserteppich zu den beiden großen Ledersesseln und bewegte sich um das Möbelstück herum, bis sie sehen konnte, wer

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