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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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darin saß. Sie dachte noch immer, dass sie jeden Moment aufwachen und dann alles vorbei sein würde, wie ein rasch verblassender Traum.
    »Ma?«
    Die alte Frau hob langsam den Kopf, als hätte sie gedöst. Doch dann sah Sarah die Tränen auf den runzligen Wangen ihrer Mutter. Sie hatte ihr schlohweißes Haar zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt und trug ein schwarzes Kleid mit einem einfachen weißen Spitzenkragen, der in der Mitte von einer schlichten Brosche zusammengehalten wurde. Sarah spürte, wie die Woge von Gefühlen, die in diesem Moment durch ihren Körper jagte, ihre Knie weich werden ließ.
    »Ma.« Ihre Stimme versagte, und sie brachte nur noch ein Krächzen zustande.
    »Sarah«, sagte die alte Dame, erhob sich mühsam aus dem Sessel und streckte Sarah die Arme entgegen. Tränen liefen ihr über das Gesicht, und nun konnte auch Sarah sich nicht länger zurückhalten. »Sie haben mir gesagt, du wärst auf dem Weg hierher, aber ich habe mich nicht getraut, ihnen zu glauben.«
    Sarah spürte die Hände ihrer Mutter, doch ihre Umarmung war irgendwie gebrechlicher, nicht mehr so kräftig wie früher. Schweigend standen sie da und hielten sich fest im Arm, bis die alte Dame sich schließlich räusperte.
    »Ich muss mich setzen«, krächzte sie.
    Nachdem sie wieder Platz genommen hatte, kniete Sarah sich vor den Sessel und hielt die Hände ihrer Mutter.
    »Du siehst gut aus, Kind«, sagte die alte Dame.
    Einen Moment herrschte Stille im Raum, während Sarah fieberhaft nach Worten suchte, aber sie war einfach zu überwältigt.
    »Das Leben dort oben hat dir offenbar gutgetan«, fuhr die Mutter fort. »Ist es wirklich so schändlich, wie man uns immer erzählt?«
    Erneut suchte Sarah nach einer Antwort, – sagte dann aber nichts. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, aber in diesem Moment spielte das für sie beide auch keine Rolle. Nur eins zählte: die Tatsache, dass sie zusammen waren, wieder vereint waren.
    »So vieles ist inzwischen geschehen, Sarah.« Die alte Frau zögerte. »Die Styx waren sehr freundlich zu mir. Jeden Tag schicken sie jemanden vorbei, der mich zur Kirche begleitet, damit ich für Tams Seele beten kann.« Sie wandte den Blick ab und schaute zum Fenster, als bereitete es ihr zu große Schmerzen, ihre Tochter anzusehen. »Sie haben mir mitgeteilt, dass du nach Hause kommen würdest, aber ich habe mich nicht getraut, ihnen zu glauben. Das war mehr, als ich mir erhoffen durfte … dich wiederzusehen … noch ein letztes Mal … ehe ich sterbe.«
    »Sag doch nicht so was, Ma, du hast noch einige gute Jahre vor dir«, erwiderte Sarah leise, während sie die Hände ihrer Mutter sanft tadelnd schüttelte. Als die alte Dame ihr erneut den Kopf zuwandte, schaute Sarah ihr tief in die Augen. Die Veränderung, die sie darin erkannte, war herzzerreißend, als wäre das Licht in ihnen erloschen. Die Augen ihrer Mutter hatten immer gefunkelt, doch jetzt wirkten sie glanzlos und stumpf. Sarah ahnte, dass dies nicht nur an ihrem fortgeschrittenen Alter lag. Sie wusste, dass auch sie Schuld daran hatte, und verspürte das Bedürfnis, sich für ihre Handlungen zu verantworten.
    »Ich bin die Ursache für so vieles, was schiefgelaufen ist, nicht wahr? Ich habe unsere Familie entzweit. Ich habe meine Söhne in Gefahr gebracht …«, setzte Sarah mit zitternder Stimme an und holte dann ein paar Mal tief Luft. »Und ich habe keine Ahnung, wie mein Mann … John … sich nun fühlt.«
    »Er kümmert sich jetzt um mich«, warf ihre Mutter rasch ein. »Jetzt, da sonst niemand mehr da ist.«
    »Ach, Ma«, krächzte Sarah und fuhr dann mit gebrochener Stimme fort: »Ich … ich wollte nicht, dass du allein zurückbleibst … als ich damals gegangen bin … es tut mir so leid …«
    »Sarah«, unterbrach die alte Dame sie. Tränen strömten ihr über das faltige Gesicht, während sie die Hände ihrer Tochter drückte. »Sarah, quäl dich nicht. Du hast getan, was du deiner Meinung nach tun musstest.«
    »Aber Tarn … Tarn ist tot … und ich kann es immer noch nicht glauben.«
    »Nein«, sagte die alte Dame so leise, dass ihre Worte gegen das Knistern des Kaminfeuers kaum zu hören waren, und senkte ihr gramgebeugtes Haupt. »Nein, das kann ich auch nicht.«
    »Stimmt es denn …« Sarah zögerte mitten im Satz, stellte dann aber doch die Frage, vor der sie sich am meisten fürchtete: »Stimmt es, dass Seth etwas mit Tams Tod zu tun hat?«
    »Nenn ihn Will, nicht Seth!«, fauchte ihre Mutter und riss

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