Turm der Hexer
wurden vom Wind gejagt. Die trostlosen Klippen der Insel trugen den ersten grünen Hauch des Frühlings. Die hohe, klare Stimme einer Schäferin, die für ihre Herde sang, wehte durch das offene Fenster hinein. Ihre Stimme war rein und ungeschult, und sie sang ohne jede Verlegenheit, als ob in hundert Meilen Umkreis niemand wäre, der sie hören konnte. Garion seufzte, als die letzten Töne ihres Liedes verklangen, und widmete sich wieder seinen ermüdenden Pflichten.
Seine Aufmerksamkeit war in jenen ersten Frühlingstagen jedoch geteilt. Da er selbst den Mann mit dem zerrissenen Mantel nicht suchen konnte, mußte er sich dabei ganz auf Lelldorin verlassen. Lelldorin war jedoch nicht immer zuverlässig, und die Suche nach dem möglichen Attentäter schien die Phantasie des jungen Asturiers zu entflammen. Er schlich durch die Zitadelle, verstohlene Blicke um sich werfend, und berichtete nur in verschwörerischem Flüsterton über seine erfolglose Suche. Die Angelegenheit Lelldorin zu übergeben, war vielleicht ein Fehler gewesen, aber er hatte keine Wahl gehabt. Jeder andere von Garions Freunden hätte sofort einen allgemeinen Aufruhr verursacht, und die ganze Affäre wäre unweigerlich an die Öffentlichkeit gedrungen. Dies wollte Garion aber vermeiden. Er wollte keine Entscheidungen bezüglich des Attentäters treffen, ehe er nicht wußte, wer das Messer geworfen hatte und warum. Zu viele andere Dinge konnten damit zusammenhängen. Nur bei Lelldorin konnte man sich auf völlige Geheimhaltung verlassen, auch wenn eine gewisse Gefahr darin lag, ihn mit dem Auftrag, jemanden aufzuspüren, auf die Zitadelle losließ. Lelldorin hatte eine Art, einfache Dinge in Katastrophen zu verwandeln, und Garion machte sich darum fast genauso viele Sorgen, wie um die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messer auf ihn geschleudert werden könnte.
Unter den Besuchern, die wegen der Verlobungsfeierlichkeiten anwesend waren, befand sich auch Ce’Nedras Cousine Xera, die persönliche Stellvertreterin Königin Xanthas. Nach anfänglicher Schüchternheit verlor die Dryade bald ihre Zurückhaltung vor allem, wenn sie sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit einer Gruppe hingerissener junger Edelleute sah.
Das Geschenk Königin Xanthas an das königliche Paar war nach Garions Ansicht etwas seltsam. In schlichte Blätter eingewickelt, überreichte Xera ihnen zwei Eichensprößlinge. Ce’Nedra schien sich jedoch zu freuen. Sie bestand darauf, die beiden Pflänzchen unverzüglich einzusetzen, und eilte in den kleinen Privatgarten, der sich an die königlichen Gemächer anschloß.
»Sehr hübsch, finde ich«, meinte Garion etwas zweifelnd, während er seine Prinzessin beobachtete, die auf den Knien in dem feuchten Lehm lag und die Erde darauf vorbereitete, Königin Xanthas Geschenk zu empfangen.
Ce’Nedra sah ihn scharf an. »Ich glaube nicht, daß Eure Majestät die Bedeutung des Geschenks versteht«, sagte sie in dem verhaßten, förmlichen Ton, den sie ihm gegenüber angenommen hatte.
»Laß das«, sagte Garion barsch. »Ich habe schließlich noch einen Namen, und ich bin mir ziemlich sicher, daß du ihn nicht vergessen hast.«
»Wenn Eure Majestät darauf besteht«, erwiderte sie hochmütig.
»Tut meine Majestät. Was ist so bedeutsam an ein paar Eicheln?« Sie sah ihn fast mitleidig an.
»Das würdest du nicht verstehen.«
»Bestimmt nicht, wenn du dir nicht die Mühe machst, es zu erklären.«
»Also schön.« Sie sprach aufreizend überlegen. »Die eine Eichel ist von meinem eigenen Baum. Die andere von Königin Xanthas.«
»Und?«
»Sieh nur, wie unglaublich dumm er ist«, sagte die Prinzessin zu ihrer Cousine.
»Er ist keine Dryade, Ce’Nedra«, antwortete Xera ruhig.
»Offensichtlich.«
Xera wandte sich an Garion. »Die Eicheln kommen nicht wirklich von meiner Mutter«, erklärte sie. »Sie sind ein Geschenk der Bäume selbst.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?« wollte Garion von Ce’Nedra wissen.
Sie schnaubte und grub weiter.
»Wenn sie noch junge Sprößlinge sind, wird Ce’Nedra sie zusammenbinden«, fuhr Xera fort. »Die Triebe werden sich ineinanderschlingen und einander umarmen und schließlich einen einzigen Baum bilden. Es ist das Dryadensymbol für die Ehe. Die beiden werden eins genau wie du und Ce’Nedra.«
»Das bleibt noch abzuwarten«, fauchte Ce’Nedra, geschäftig in der Erde wühlend.
Garion seufzte. »Ich hoffe, die Bäume sind geduldig.«
»Bäume sind sehr geduldig, Garion«,
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