Turm der Lügen
das müsst Ihr doch wissen.«
Eine nachlässige Handbewegung tat den Vorwurf ab. »Sagt mir, was hattet Ihr mit ihm zu bereden?«
»Dass er stillzuhalten habe, bis Jeanne begnadigt ist, habe ich ihm klargemacht.«
»Und Blanche. Und Marguerite, natürlich.«
»Da seid Euch nicht zu sicher, Mutter.«
»Nun, es muss ja nicht die Freiheit sein. Ein Kloster tut es auch fürs Erste«, schränkte Mahaut ein. »Fontevraud vielleicht. Auf keinen Fall können sie länger im Château Gaillard bleiben. Einen Winter dort übersteht kaum ein Mann.«
Es verwunderte Philippe nicht, dass auch Mahaut inzwischen wusste, dass die Frauen im Château Gaillard eingekerkert waren. »Hat der König Euch schon empfangen?«
»Noch nicht.« Mahaut fluchte wie ein Strauchdieb. »Aber ich werde mich nicht abweisen lassen, dessen könnt Ihr gewiss sein. Er kann einer Mutter nicht verweigern, für ihre Kinder zu bitten.«
Ihre laute, großspurige Art stieß Philippe noch mehr ab als sonst. Er versuchte, ruhig zu bleiben. »Wie geht es meinem jungen Schwager? Ich hoffe, Roberts Gesundheit ist wiederhergestellt?«
»Die Ärzte behaupten es.« Ungewohnte Besorgnis färbte ihre Worte. »Ich wünschte, ich könnte ihnen glauben. Sie versuchen mich mit Erfolgsmeldungen zu beruhigen, aber seine anhaltende Schwäche spricht eine andere Sprache. Was ist mit Euren Mädchen? Jeanne kommt jetzt in ein Alter, das standesgemäße Erziehung fordert.«
»Die bekommt sie, Mutter, keine Angst.«
»Hütet immer noch Jacquemine Jeannes Kinderstube? Sie ist zu alt und zu nachsichtig dafür. Ich werde mich darum kümmern, eine junge Edeldame zu finden, die sie in meinem Sinne ersetzt.«
Philippe unterbrach den Redestrom gebieterisch. »Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch darum kümmert. Jeanne hat selbst dafür gesorgt, dass Jacquemine Unterstützung hat.«
»Jeanne. Du meine Güte. Meine liebe Jeanne ist ein Schaf. Haben das die Ereignisse nicht hinlänglich bewiesen? Warum nur hat sie alles für sich behalten? Sie hätte die Pflicht gehabt, meinen Rat zu suchen. Ich hätte diese Schmach verhindert, das könnt Ihr mir glauben. Niemals …«
»Ich dulde nicht, dass Ihr so von ihr sprecht, Mutter.« Philippe erhob so selten die Stimme, dass sich Mahauts Augen vor Staunen weiteten. »Jeanne ist die Einzige in diesem Teufelskreis aus Vergnügungssucht, Lebensgier und Lügen, die völlig unschuldig ist. Verwendet Eure Energie und Euren Einfluss besser darauf, ihren Ruf wiederherzustellen. Und vermeidet um Himmels willen, Euer Gift in Artois’ Richtung zu versprühen. Ihr habt ihn lange genug als Gegner unterschätzt, macht diesen Fehler nicht wieder.«
Mahaut zog ihre eigenen schnellen Schlüsse aus dieser Ermahnung. »Denkt nicht daran, mit dem Erbe meines einzigen Sohnes zu schachern, um Artois für Euch zu gewinnen, Philippe. Artois ist und bleibt ein Bastard, der weder ein Recht auf den Titel noch auf die Ländereien der Grafschaft Artois hat. Und nun lasst die Kinder kommen, ich möchte mir selbst ein Bild von ihrem Befinden machen.«
Mahauts Anwesenheit hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Jacquemine und die Amme eilten mit den Kindern herbei. Séverine war verschwunden.
In Gegenwart ihrer einschüchternden Großmutter verstummten die Kinder fast. Ihre leisen Antworten auf die strengen Fragen entlockten Mahaut eine Reihe missbilligender Äußerungen.
»Es wird alles gemacht, wie Jeanne es angeordnet hat«, unterbrach Philippe seine Schwiegermutter. »Geändert wird nichts, solange Jeanne es nicht wünscht.«
»Gütiger Himmel, seit wann verstehen Männer etwas von Mädchenerziehung? Das Beste wird sein, ich nehme für die nächsten Wochen meinen Wohnsitz unter Eurem Dach und …«
Philippe schickte die Frauen und die Kinder mit einer stummen Geste in die Kinderstube zurück, ehe er sich diplomatisch gegen dieses Ansinnen verwahrte.
»Das will ich Euch nicht zumuten, Mutter. Bleibt Ihr in aller Bequemlichkeit im Palais Artois, das Ihr Euch so vortrefflich eingerichtet habt. Ich müsste mir Vorwürfe machen, wenn ich Euch auf solche Weise beanspruchen würde.«
»Ich finde es schon beschämend genug, dass Jeanne Euch bisher nur Töchter geboren hat, Philippe«, beharrte Mahaut auf ihrem Vorschlag. »Die königliche Erbfolge verlangt Söhne, und sie hat diese Pflicht bislang vernachlässigt. Umso wichtiger ist es mir, dass die Mädchen zu Bräuten ohne Fehl und Tadel erzogen werden. Ihre Erziehung muss makellos sein.«
Ein Wort gab das
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