Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
blieben aber in Türnähe stehen. Vielleicht musste Jenson jetzt vor uns Halbstarken beschützt werden. Oder Dr. Lyanne steckte womöglich schon in Schwierigkeiten.
‹Das spielt keine Rolle, Eva›, sagte Addie, ehe ich etwas sagen konnte, aber unser Blick flitzte zwischen Mr Conivent und Dr. Lyanne hin und her. Devon saß völlig regungslos neben uns.
‹Natürlich spielt es eine Rolle›, sagte ich. ‹Er wird sie erwischen. Und Jenson wird sie erwischen. Und sie werden …›
Ich war nicht sicher, was sie tun würden, aber Mr Conivent und Jenson waren Dr. Lyanne sowieso schon nicht besonders gut gesinnt und …
‹Das ist mir egal. Das muss uns egal sein, Eva›, sagte Addie. Zu Kitty sagte sie: »Fang du als Erste an. Hast du den Würfel?«
Kitty nickte, verschränkte die Hände und schüttelte sie auf und ab. Devon beobachtete uns aus dem Augenwinkel, aber Addie wandte sich entschlossen dem Spielbrett zu. Es waren nur noch wenige Stunden, bis die Nachtruhe begann und die Lichter ausgehen würden. Bis die Klinik sich bis auf uns Patienten und eine Notbesetzung an Personal leeren würde. Bis zu unserer Flucht.
Wir brauchten nichts mehr von Dr. Lyanne. Sie hatte uns die Codes für die Kellerräume gegeben.
Aber …
Mr Conivent und Jenson kamen auf uns zu, waren schon fast bei uns und wir saßen dicht an der Wand auf halbem Wege zwischen ihnen und Dr. Lyanne. Irgendwie musste ich die beiden Männer aufhalten – ihr Zeit geben, alles wieder zurückzulegen. Ich hätte einfach zu ihnen gehen und etwas sagen können. Aber was hätte ich sagen sollen, um ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken und Dr. Lyanne genug Zeit zu verschaffen?
Am Rand unseres Sichtfeldes blitzte etwas rot und weiß auf. Cals Kartenhaus war erneut in sich zusammengefallen.
Cal.
‹Eva›, sagte Addie warnend.
‹Ich kann nicht zulassen, dass sie sie erwischen›, sagte ich. ‹Sie hat uns geholfen, Addie. Wir schulden ihr etwas.›
‹Wir schulden ihr gar nichts!›
»Cal«, sagte ich. Das Wort verließ unsere Lippen mit einem gewissen Widerwillen, aber mit weniger, als ich erwartet hatte. Devon hob den Kopf. Kitty hörte auf, den Würfel zu schütteln.
»Eli«, flüsterte sie.
Cal hatte aufgeblickt, als er seinen Namen hörte, mit gerunzelter Stirn und argwöhnisch. Mir war die Bedeutung dessen, was ich gesagt hatte, gar nicht klar gewesen. Cal. Wann war das letzte Mal gewesen, dass ihn jemand mit seinem richtigen Namen angesprochen hatte?
»Aber er ist nicht Eli«, sagte ich. »Oder?«
Kitty wandte den Blick ab und ließ den Würfel fallen. Eine ihrer Haarspangen hatte sich gelöst. »Er ist, wer immer die Ärzte sagen.«
»Nein«, erwiderte ich. »Nein. Kitty …«
‹Eva›, sagte Addie. ‹Du bringst ihn in Gefahr. Das ist dir doch klar? Wenn du ihn um etwas bittest und wir es versauen und jemand herausfindet, dass er uns geholfen hat … Lissa hat uns geholfen, und sieh, was mit ihr und Hally passiert ist.›
Ich zögerte. Sie hatte recht. Aber Mr Conivent war nur noch wenige Schritte von der Rückseite des Raumes entfernt, er hielt gerade inne, um Jenson auf ein Kind aufmerksam zu machen, indem er mit dem Finger auf es zeigte, und ich sah, wie Dr. Lyanne die Kante des Pultes umklammerte.
»Cal«, sagte ich. »Cal, würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Was machst du da?«, fragte Devon.
Es war jetzt leichter. Jedes Wort erforderte besondere Konzentration, aber ich schaffte es. »Wir müssen Mr Conivent ablenken, ehe er bei seinem Schreibtisch ist. Dr. Lyanne …«
»Jetzt ist nicht die Zeit, an sie zu denken«, warf Devon ein.
»Sie hat uns geholfen«, entgegnete ich. »Sie hat uns die Kombination von Hallys Zimmerschloss verraten …«
Das ließ ihn verstummen, und ich wartete nicht ab, was er als Nächstes sagen würde. »Cal«, sagte ich, »könntest du … könntest du alle ablenken? Nur ein paar Minuten.« Dann kam mir plötzlich ein Gedanke. Sie hatten Cal jedes Mal unter Drogen gesetzt, wenn er und Eli miteinander kämpften. Sie würden ihm vielleicht wieder etwas einflößen. Gerade jetzt, wo sein Blick endlich wieder klar war …
Cal kauerte über seinen Karten, die Unterlippe vorgeschoben. Er war erst acht. Jünger und kleiner als Lyle. Nur wenig älter als Lucy. Ich war verrückt gewesen, ihn um so etwas zu bitten, ihm zuzumuten, noch mehr Gefahr für Leib und Leben auf sich zu nehmen.
Unsere Schultern sackten herab.
Und dann kreischte Cal los.
Sein Schrei schlitzte den Raum von oben nach unten auf
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