Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
es nicht einen gewissen Sinn? Ergab es nicht einen Sinn, dass Hally …
»Dir«, beharrte Addie. »Dir, nicht uns.«
»Uns«, sagte sie. »Mir und Hally. Uns.«
»Nein …« Addie fuhr erneut herum. Der Türknauf wurde von unseren Händen dermaßen durchgerüttelt, dass es schien, als müsse er jeden Moment von der Tür abreißen. Lissa begann, an uns zu zerren, sie versuchte, Addie dazu zu bringen, sie anzusehen.
»Addie«, sagte Lissa. »Bitte. Hör mir zu …«
Aber das tat Addie nicht. Sie stand nicht still, nahm unsere Hände nicht vom Türknauf. Und ich existierte einfach nur, geschockt, unfähig, es zu glauben, bis Hally – Lissa – Hally schließlich aufgab, an unseren Händen zu zerren, und rief: »Eva! Eva, bring sie dazu aufzuhören!«
Die Welt wurde vom Klang ihrer Stimme zerschmettert, von dem Namen, der von ihrer Zunge sprang.
Eva.
Meiner. Mein Name.
Ich hatte ihn seit drei Jahren nicht mehr laut ausgesprochen gehört.
Addie erstarrte. Dann hob sie langsam, sehr, sehr langsam den Kopf, und unser Blick tauchte in den des Mädchens, das uns unentwegt ansah. Alles war zu deutlich, zu scharf. Der Haarreif, der ihr aus den Haaren glitt. Ihre perfekt lackierten Nägel, die im Licht der Deckenleuchte schimmerten. Die Furchen zwischen ihren Augenbrauen. Die Sommersprosse direkt neben ihrer Nase.
»Woher …?«, fragte Addie.
»Devon hat ihn herausgefunden«, sagte Lissa. Ihre Stimme klang jetzt sanft. »Er hat sich Zugang zu den Schulakten verschafft. Sie halten alles fest, wenn man nicht bis zur ersten Klasse Frieden gefunden hat. Eure älteren Akten führen noch beide Namen.«
Tatsächlich? Ja, so musste es sein. Damals, in den ersten Grundschuljahren, als Addie und ich sechs, sieben, acht Jahre alt gewesen waren, trafen die Zeugnisse mit zwei Namen in der Kopfzeile zu Hause ein: Addie, Eva Tamsyn. Irgendwann war von Eva dann keine Rede mehr gewesen.
Ich hatte nicht gewusst, dass mein Name die vierstündige Fahrt, den Schulwechsel überlebt hatte.
»Addie?«, sagte Lissa. Und dann, nach einer langen Pause, zögernd: »Eva?«
»Nicht.« Das Wort explodierte in unserer Brust, brannte sich einen Weg unsere Kehle hinauf und traf die Luft wie ein sich entladender Blitz. »Nicht. Sprich ihn nicht aus.« Der Schmerz riss eine klaffende Wunde in unser Herz. Wessen Schmerz? »Mein Name ist Addie. Nur Addie.«
»Dein Name«, entgegnete Lissa. »Aber es gibt nicht nur dich. Da ist …«
»Hör auf!«, schrie Addie. »Das kannst du nicht machen. So darfst du nicht reden.«
Unsere Atemzüge wurden hektischer, vor unseren Augen verschwamm alles. Unsere Hände ballten sich zu Fäusten, so fest, dass unsere Nägel Halbmonde in unsere Handflächen schitten.
»Es ist genau so, wie es sein soll«, sagte Addie. »Es gibt nur mich. Ich bin Addie. Ich habe Frieden gefunden. Alles ist in Ordnung. Ich bin jetzt normal. Ich …«
Aber Lissas Augen schleuderten plötzlich Blitze, ihre Wangen liefen knallrot an. »Wie kannst du so etwas sagen, Addie? Wie kannst du so etwas sagen, wo Eva immer noch da ist?«
Addie begann zu weinen. Tränen liefen in unseren Mund, salzig, warm, metallisch.
‹Sch›, flüsterte ich. Vor Verwirrung begann sich alles um uns zu drehen. ‹Sch, Addie. Bitte weine nicht. Bitte.›
»Was ist mit Eva?« Lissas Stimme wurde schrill. »Was ist mit Eva ?«
Elend. Elend und Schmerz und Schuld. Nichts davon meine Empfindung. Addies Gefühle waren eine scharfe Klinge, die mitten durch mich hindurchfuhr. Was auch immer geschah, was wir auch sagten oder einander antaten, Addie und ich waren nach wie vor zwei Hälften eines Ganzen. Untrennbar verbunden. Für immer eins. Ihr Elend war meines. ‹Hör nicht auf sie, Addie›, sagte ich. ‹Sie weiß nicht, was sie da sagt.›
Aber Addie schluchzte weiter und Lissa hörte nicht auf zu brüllen und der Raum füllte sich bis zum Bersten mit Tränen und Wut und Schuld und Angst.
Dann kippte die Welt aus den Angeln.
Jemand muss die Tür geöffnet haben, denn plötzlich fielen wir – wir fielen rückwärts, und ich schrie nach Addie, damit sie uns fing, ehe wir zu Boden krachten, und sie ruderte mit den Armen, und ich wappnete mich für uns beide, wappnete mich gegen den Schmerz, denn das war alles, was ich tun konnte, bis das Fallen aufhörte. Das Fallen hörte auf, und wir starrten nach oben, an die Decke, und Addie weinte noch immer in ihrer – unserer – Angst, und weil sie weinte, weinte ich ebenfalls, und verglichen mit unseren Tränen war
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