Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
verstecken.«
‹Also was machten sie?›
»Hally war schon immer die Lautere, daher gaben sie ihren Namen bei der Schulanmeldung an«, sagte er, als könne er allein, indem er mich ansah, erraten, welche Frage ich mir womöglich gerade stellte. »Sie machte ihre Sache so gut, dass wir sogar unseren Eltern vorzuspielen begannen, sie sei die Dominante. Sie waren so erleichtert. Und jetzt … nun, wir sprechen nicht mehr darüber.« Er grinste trocken. »Wir sind alle so fantastische Schauspieler … Ich schätze, unsere Eltern glauben, wir wären normal. Oder zumindest reden sie sich das ein.«
Er fummelte an seinem neusten Projekt herum, einer Taschenlampe, die keine Batterien brauchte, sondern aufgezogen werden konnte wie eine Uhr. Er hatte so viele Sachen im Keller untergebracht: Kassettenspieler, verbunden mit Boxen, Computer, die er gebaut und wieder auseinandergenommen hatte, sogar zerlegte Kameras. Er hatte versprochen, mir irgendwann, wenn ich mich wieder bewegen konnte, alles zu zeigen.
»Ich war nicht sicher, ob wir je jemand anderen finden würden«, sagte Ryan. »Und selbst wenn, wusste ich nicht … wusste ich nicht, ob es nicht zu riskant sein würde. Zu versuchen … zu …« Er stockte. »Hally wünschte es sich so sehr. Mehr als der Rest von uns. Sie musste einfach andere treffen, verstehst du? Mit anderen Leuten wie uns zusammen sein. Aber ich dachte … Devon und ich dachten, es wäre zu gefährlich, es überhaupt zu versuchen. Es dauerte ein paar Monate, bis sie uns überzeugt hatte.« Er sah mich an, dann zurück zu seiner Taschenlampe. »Aber ich bin froh, dass sie es geschafft hat.«
Ich auch, wollte ich sagen. Das hätte ich wahrscheinlich gekonnt. Ich hätte es sagen können, aber irgendwie schien es nicht genug zu sein. Denn wenn Hally Addie an jenem Tag nicht angesprochen oder darauf bestanden hätte, dass wir nach der Überschwemmung im Museum mit zu ihr kämen, oder wenn Devon nicht eingewilligt hätte, sich Zugang zu den Schulakten zu verschaffen, oder wenn Lissa Addie nicht gezwungen hätte, ihr zuzuhören, oder wenn eine von einem Dutzend anderen Kleinigkeiten nicht passiert wäre – dann würde ich meine Tage wahrscheinlich immer noch in Wochenenden und Babysitterjobs zählen. Ich wäre noch immer nichts weiter als ein Geist, der in Addies Leben herumspukte.
»Eva?«, sagte Ryan.
Ich sah hoch, tauchte in seinen Blick ein. Es war so seltsam, wie anders das Gesicht dieses Jungen sein konnte, wenn Ryan und nicht Devon die Kontrolle hatte. Er besaß ein Lächeln, das in mir die schmerzhafte Sehnsucht weckte, es zu erwidern.
»Ja?«, sagte ich wieder. Das zweite Mal war es etwas leichter, so als würde man ein Lied auf einem Instrument spielen, nachdem man es geübt hatte.
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. Ein Stirnrunzeln grub eine Furche zwischen seine Augenbrauen, verdüsterte seinen Blick. Einen Moment befürchtete ich, er würde switchen. Devon sprach nur selten mit mir. Wenn Ryan jetzt switchte, wäre es das Ende unserer Unterhaltung gewesen. Es hätte bedeutet, allein auf der Couch zu liegen, bis Addie aufwachte. Aber Ryan switchte nicht, obwohl seine nächsten Worte zögernd und gepresst klangen.
»Hast du dich je gefragt, was in Wahrheit mit den Kindern passiert, die weggeschafft werden?«
Ich starrte ihn einfach nur an. Die Furche vertiefte sich. Sein Mund öffnete und schloss sich wortlos.
Dann: »Hast du dich je gefragt, wie viele Hybride es da draußen in Wahrheit gibt …?«
Sein Gesicht zuckte von unserem weg und wurde vollkommen starr. Und dann war er verschwunden. Devon drehte seinen Körper der Wand zu.
»Wie auch immer«, sagte er leise. »Ist ja nicht so, als könntest du schon antworten.«
Genau in dem Moment kam Hally nach Hause und Devon verzog sich nach oben. Ich hatte keine Möglichkeit, ihn zurückzurufen, keine Möglichkeit, wieder mit Ryan zu sprechen.
Die Tage und Wochen zogen vorbei. Ich wurde im Schneckentempo stärker, war nach wie vor an die Couch gefesselt und stumm bis auf Satzfetzen, die allmählich länger wurden. Aber bald konnte ich unsere Augen jederzeit öffnen und mit unseren Fingern und Zehen wackeln. Das erste Mal, als ich unsere Hand ganze zehn Zentimeter von der Couch hob, quietschte Hally auf und klatschte in die Hände.
Wenn ich mir gerade keine Sorgen machte, dass ich die Kontrolle über unseren Körper zu langsam wiedererlangte, machte ich mir Sorgen, es könne zu schnell gehen. War es zu schnell für Addie?
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