Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
einstürzender Gebäude hochkletterten.
Mom seufzte, als wir uns auf den Beifahrersitz gleiten ließen. Sie setzte den Wagen rückwärts aus der Einfahrt, kaum dass Addie die Tür zugeknallt hatte. »Ich begreife nicht, warum du nicht einfach deine Schuluniform tragen kannst, Addie.«
Addie erwiderte nichts. Sie war zu beschäftigt, unsere Schuhe zuzubinden, und außerdem hatte sie Mom schon tausendmal erklärt, dass niemand außerhalb der Schule in seiner Schuluniform rumlief, vor allem nicht in der Stadt. »Kannst du mich in der Straße mit dem Laden für Künstlerbedarf rauslassen? Dem neben …«
»Ja, ja, ich weiß, Addie«, sagte Mom.
Lyle dehnte seinen Anschnallgurt so weit, dass er sich vorlehnen und den Kopf zwischen Moms Sitz und unseren stecken konnte. »Darf ich auch dahin, Mom? Nach meinem Termin? Bitte!«
Wir überfuhren beinah eine rote Ampel. Genau in dem Moment, als sie umsprang, schossen wir über die Kreuzung.
»Falls noch Zeit genug ist, Lyle«, sagte Mom.
Lyle hatte dreimal die Woche Dialyse in einer Klinik in der Stadt. Addie und ich waren früher ungefähr einmal die Woche mit ihm und Mom mitgefahren, aber in letzter Zeit waren wir zu beschäftigt gewesen, stattdessen zu Hally und Devon zu gehen. Bessimir war eine willkommene Abwechslung zu einem langweiligen Vorort wie Lupside. Es war nicht annähernd so groß wie Wynmick, wo wir vor unserem Umzug gelebt hatten, aber es hatte dennoch einiges zu bieten. Selbst wenn die Anwesenheit des Geschichtsmuseums alles überschattete.
In dem Monat, der seit der Überschwemmung im Museum vergangen war, hatte sich die Aufregung darüber ziemlich gelegt, aber das Gebäude war noch immer geschlossen, umwickelt mit dem gelbem Absperrband der Polizei – eine deutliche Erinnerung an das, was passiert war. Und beinah jede Nacht erwähnte der regionale Nachrichtensender die laufenden Ermittlungen oder zeigte noch einmal die Berichte über vergangene Hybridattentate. Diese endeten immer mit Aufnahmen der Männer und Frauen, die aufgespürt und zur Rechenschaft gezogen worden waren. Ihre Haare waren wirr und hingen strähnig herunter, die Schminke der Frauen war verschmiert oder lief ihnen das Gesicht hinunter, als wären sie Clowns. Hybride. Diejenigen, die im Verborgenen gelebt hatten, genau wie wir uns verbargen.
Verglichen mit dem Bombenattentat von San Luis oder dem Feuer, das über den Amazonia in den Südamericas hinweggefegt war – beides verursacht durch hybride Gewalt, wie sich herausgestellt hatte –, schienen ein paar Zentimeter Wasser und ein paar züngelnde Flammen kaum erwähnenswert. Aber es wurde immer und immer und immer wieder durchgekaut.
Und egal, wie sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht anders, als mich jedes Mal an das zu erinnern, was die Museumsführerin gesagt hatte, als Addie uns aus dem dreckigen Wasser gestemmt hatte. Es sind diese dämlichen Rohre. Wie oft habe ich schon darauf hingewiesen, dass diese Rohre repariert werden müssen?
Mom setzte uns in der Einkaufsstraße ab und erinnerte uns daran, in drei Stunden wieder da zu sein. Wir wussten beide, dass es länger dauern würde, bis Lyle seine Sitzung hinter sich hatte. Das war jedes Mal so. Aber Addie versprach trotzdem, rechtzeitig da zu sein.
Hally traf uns am Ende der Straße. Sie trug ein hellgelbes Sommerkleid über etwas, das weiße Puffärmel aus einem lange vergangenen Jahrhundert zu haben schien. An ihr sah es irgendwie gut aus. Wir waren so abgelenkt von ihrer Aufmachung, dass wir beinah den Jungen übersehen hätten, der ein paar Schritte von ihr entfernt stand, und ihn erst bemerkten, als wir an der Straßenecke ankamen.
»Er wollte mit einkaufen kommen«, sagte Hally. Ihr gelang ein Lachen, für das sie nur mit den Lippen zuckte und eine Augenbraue hob.
»Ich musste mitkommen«, sagte Ryan. »Ich brauche dringend …«
»Er lügt«, flüsterte Hally und stupste uns mit der Schulter an. Ryan bemühte sich sehr, so zu tun, als hätte er sie nicht gehört.
Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich gelächelt.
»Okay, zeig uns, wo’s langgeht, Addie«, sagte Hally. Sie grinste. »Was wolltest du noch gleich besorgen?«
»Malsachen«, sagte Addie, die klang, als bedaure sie bereits, der Verabredung zugestimmt zu haben.
Hally griff nach unserer Hand, als wären Addie und sie Freundinnen, als wären sie normal und als bestünde kein Grund zur Sorge. Als würden die Leute Hally und Ryan aus den Augenwinkeln nicht bereits Blicke zuwerfen, auf das fremde
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