Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
Kontrolle zu haben. Er verdrehte die Augen leicht, als Hally ihn zur Seite schubste, sodass ich stattdessen sie anguckte.
»Bald«, sagte Hally grinsend, »wirst du Räder schlagen.«
In solchen Momenten glaubte ich ihr. In anderen Momenten war ich mir da nicht so sicher.
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, sagte Ryan eines Nachmittags. Hally und Lissa waren an diesem Tag nicht da. Sie schienen uns inzwischen immer öfter mit Ryan allein zu lassen, und Addie hatte aufgehört, danach zu fragen, wo sie waren. Mir machte es nichts aus. Ich mochte diesen Jungen, der sich einen Stuhl neben die Couch zog, der mit mir über Verdrahtung und Volt redete und dann lachte und sagte, ich käme wahrscheinlich vor Langeweile um, und dass es mich sicher anspornen würde, die Kontrolle über meine Beine wiederzuerlangen, damit ich sie in die Hand nehmen und davonrennen könne.
‹Was ist, wenn die Kontrolle nie wiederkommt?›, fragte ich. Ich redete inzwischen oft auf diese Weise mit ihm und Lissa; in dem Wissen, dass sie mich nicht hören konnten, die Worte aber dennoch aussprechend. Manchmal hielten sie die einseitige Unterhaltung bis zu eine Stunde in Gang. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, ihnen im Gegenzug zu antworten, selbst wenn sie nichts davon ahnten.
Ryan rückte seinen Stuhl näher. »Devon und ich haben nie wirklich Frieden gefunden. Es gab ein paar Monate, als wir fünf oder sechs waren, in denen ich schwächer wurde. Alle waren überzeugt, dass ich bis zu unserem siebten Geburtstag verschwunden sein würde.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Aber ich kam zurück. Ich weiß nicht genau wie. Ich erinnere mich, dass ich dagegen angekämpft habe, dass Devon dagegen angekämpft hat. Ach, ich weiß auch nicht. Unsere Eltern haben es nie jemandem erzählt. Weißt du noch, dass meine Mutter im Krankenhaus arbeitet?«
Das wusste ich. Daher stammte die Medizin – gestohlen an einem Tag, als Hally mit ihrer Mutter zur Arbeit gegangen war. Es war Addie schwergefallen, ein Schaudern zu unterdrücken, als sie davon erfahren hatte.
»Sie weiß ein bisschen über diese Sachen. Sie dachte, wir wären vielleicht nur Spätentwickler oder so. Oder zumindest hoffte sie das. Deshalb hat sie es nie gemeldet, und sie sorgte dafür, dass wir es verbargen – sie verbarg uns. Donvale, wo wir früher gelebt haben, ist ein winziger Ort auf dem Land, daher war es leicht, unter uns zu bleiben. Dad unterrichtete uns die ersten zwei Schuljahre zu Hause, damit wir während der Zeit, in der Kinder üblicherweise Frieden finden, nicht so viel unter Leuten waren. Unsere Eltern hatten Angst, verstehst du?«
Ich musste meine ganze Kraft – meine ganze Kraft und meine ganze Konzentration – zusammennehmen, aber es gelang mir, unsere Lippen, unsere Zunge zu zwingen, ein Wort zu bilden: »Ja.« Und in dieses Wort versuchte ich, alles zu legen.
Ryan lächelte, wie er es stets tat, wenn ich etwas sagte, selbst wenn es nur ein paar Silben waren. Aber dann erlosch sein Lächeln. »Die Behörden hätten keine Nachsicht mit der Frist geübt – nicht bei uns.«
Ich war hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Neid. Wenn man wusste, dass das eigene Kind krank war, sich nicht normal entwickelte, wie konnte man es da nicht zu einem Arzt bringen? Wie konnte man sich da keine Sorgen machen?
»Aber irgendwann erregte es mehr Aufmerksamkeit, als es wert war, nicht auf eine reguläre Schule zu gehen. Unsere Mom dachte, Devon zeige Anzeichen, der Dominante zu sein, daher gab sie nur seinen Namen an, als sie uns schließlich anmeldete. ›Tut einfach so‹, befahl sie uns. Wir hatten bereits gelernt, wie wichtig es war, genau das zu machen.«
Ich sah zu ihm hoch und wünschte mir, die Worte und die Kraft zu haben, ihm zu sagen, dass ich genau wusste, wovon er sprach. Ihm von der offenen Neugierde und der wachsenden Angst zu erzählen, der Addie und ich auf dem Spielplatz ausgesetzt gewesen waren.
Aber Ryan wusste das alles, genau wie er wusste, dass seine Gesichtszüge jeden, der ihn sah, an die Bilder in unseren Geschichtsbüchern erinnerte, an die Fremden, die um jeden Preis draußen bleiben mussten, wenn unser Land sicher sein sollte.
»Also taten wir so als ob.« Ryan zuckte mit den Schultern. »Und taten weiter so. Hally und Lissa waren damals sieben, und auch sie machten keinerlei Anstalten, Frieden zu finden.« Er lachte. »Ich glaube, Mom und Dad waren beim zweiten Mal um einiges besorgter. Hally lässt sich nur schwer
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