Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
schenken wir hier keinerlei Beachtung.« Sein Lächeln war hart geworden, wie ein Kuchen, der zu lange an der Luft gestanden hat. »Also, habt ihr nun schon Geometrie gehabt?«
Addie rang die Abscheu nieder, die sich in unser Gesicht geschlichen hatte. »Ja, letztes Jahr. Und Devon ist zwei Stufen über mir, also nehme ich mal an, dass für ihn das Gleiche gilt.« Devons Blick schweifte zu uns, aber er blieb stumm und schien mit der Antwort einverstanden, die Addie für ihn gegeben hatte.
»Wundervoll. Dann sollte das hier für keinen von euch allzu schwer sein.« Mr Conivent drückte uns ein paar Blätter in die Hand. »In der zweiten Schublade neben dem Bücherregal sind Bleistifte und Taschenrechner. Ich komme in einer kleinen Weile wieder und sehe nach euch.«
»Aber …«
»Ja?«, sagte er immer noch lächelnd. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, gelassen. Verständnisvoll.
Furcht einflößend.
‹Nimm es einfach›, sagte ich. ‹Wir dürfen nicht mit ihm streiten, Addie. Nimm es einfach.›
Der Rest ihres Protests schmeckte bitter, als er unsere Kehle hinunterrann. »Okay«, sagte sie.
Mr Conivents Zähne waren sehr weiß und sehr gerade. Perfekt, genau wie sein perfekt gebügeltes Hemd und sein perfekter weißer Kragen. »Braves Mädchen«, sagte er und reichte Devon die gleichen Arbeitsblätter. »Devon, du hast deinen Termin bei Dr. Wendle um zehn, also versuch, die Aufgaben bis dahin zu lösen.«
Niemand sah auf, als wir uns setzten, noch nicht mal die Kinder rechts und links von uns. Das Schweigen war erdrückend. Wir beugten uns über unsere Blätter und fingen an zu rechnen, ohne zu wissen, warum und wozu.
Die Matheaufgaben waren noch leichter, als wir erwartet hatten. Wir hatten die erste Seite im Nu erledigt. Aber anstatt sich das nächste Arbeitsblatt vorzunehmen, sah Addie sich unauffällig im Raum um. Jeder Einzelne saß auf seine Arbeit konzentriert da – ein Buch, Geometrieaufgaben, einen Aufsatz. Sie sahen alle vollkommen normal aus. Wenn wir einem von ihnen außerhalb von Nornand begegnet wären – in der Schule zum Beispiel oder auf der Straße –, hätten wir niemals von dem Geheimnis in ihrem Kopf erfahren. Wir hätten niemals erfahren, dass sie waren wie wir.
‹Sieh doch›, sagte Addie. Sie bewegte unsere Augen ein Stück nach rechts auf das zu, was sie mich sehen lassen wollte.
Eli.
‹Sieh dir sein Gesicht an›, flüsterte sie.
Es begann mit einem Zucken um die Augen – einer blinzelnden, zwinkernden, zitternden Regung. Dann legte sich seine Stirn in Falten, seine Augenbrauen zogen sich ruckartig zusammen und entspannten sich wieder. Bald darauf griff das Zucken auf sein ganzes Gesicht über, von seinen großen braunen Augen bis hin zu seinem Mund. Zwei unterschiedliche Gesichtsausdrücke kämpften um die Vorherrschaft.
Unser Herz pochte dadum, dadum, dadum gegen unsere Rippen.
‹Sollen wir …›
Eli stöhnte leise und verbarg das Gesicht in seinen kleinen Händen. Das Mädchen, das neben ihm saß, sah nicht hoch, aber es starrte ein wenig zu bemüht auf sein Arbeitsbuch, und die Hand, die den Bleistift umklammerte, zitterte stark. Niemand sonst schien etwas bemerkt zu haben.
‹Eva? Eva, sollen wir …›
»Nein!«, flüsterte jemand und packte unseren Arm. Addie fuhr herum und sah sich dem kleinen dunkelhaarigen Mädchen gegenüber. Dem Feenkind. Ihre kurzen Fingernägel bohrten sich in unsere Haut. »Nein«, wiederholte sie. »Das darfst du nicht.«
»Aber …«
»Nein«, sagte sie.
Eli schrie auf und vergrub den Kopf in den Armen. Sein ganzer Körper wurde von Zuckungen geschüttelt. Einmal, als Addie und ich noch sehr jung gewesen waren, während eines unserer ersten Aufenthalte im Krankenhaus, hatten wir einen Jungen aus seinem Bett fallen sehen, den ein Anfall fest in den Klauen gehabt hatte. Die Krankenschwester hatte es nicht in sein Zimmer geschafft, ehe er zu Boden krachte. Sein Kopf ruckte so heftig vor und zurück, dass ich Angst gehabt hatte, sein Nacken würde bersten. Eli näherte sich jetzt diesem Stadium, aber es war nicht sein Kopf, der sich bewegte. Es waren seine Finger, seine Beine, seine Schultern, seine Arme. Alles bewegte sich, als versuchten er und die andere Seele, mit der er sich den Körper teilte, diesen mittendurch zu reißen.
Aber das war nicht richtig – das war nicht richtig. Bei Addie und mir war es nie so gewesen. Niemals, egal wie sehr wir als Kinder um die Kontrolle gerungen hatten.
Dann war Mr Conivent da, riss den
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