Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
bekämpfen und er würde dennoch siegen.
Und wenn der Kampf vorüber wäre, würde er immer noch so aus dem Ei gepellt aussehen, wie es in diesem Moment der Fall war.
»Jenson?« Mr Conivent kam durch die Tür und wir erhaschten einen kurzen Blick auf den inzwischen leeren Flur.
Der Mann, Mr Jenson, drehte sich nicht zu ihm um. »Sie haben gesagt, dieses Gebäude wäre gut gesichert, Conivent, dass die Patienten überwacht würden, dass in diesem Krankenhaus nie jemand verloren gehen könnte.« Selbst als er die Worte mit besonderem Nachdruck versah, veränderte sich sein Tonfall dadurch kaum. Seine Miene flackerte noch nicht einmal. »Aber offenbar war die hier lange genug unbeaufsichtigt, um in diesen Raum zu gelangen.« Jenson wartete keine Erwiderung ab. »Wessen Büro ist das?«
Es entstand eine kaum spürbare Pause, ehe Mr Conivent den Mund öffnete, um zu antworten, doch an seiner Stelle ergriff jemand anderes das Wort.
»Meins.«
Dr. Lyanne stand vor der Tür. Sie sah Mr Conivent an. Er sah sie an. Dann bedeutete er ihr mit einer ruckartigen Armbewegung, hereinzukommen. Das Büro, das von Anfang an nicht besonders groß gewesen war, schien jetzt zum Bersten gefüllt, obwohl sich niemand auch nur annähernd berührte.
»Schließen Sie die Tür«, sagte Jenson und so geschah es. Jeder Atemzug fiel uns so schwer, als zögen wir eine Säge durch unsere Lunge.
»Gehört es hier nicht zur Geschäftspolitik, sein Büro abzuschließen, wenn man es verlässt?«, fragte Jenson.
»Ich war nur einen Augenblick weg«, sagte Dr. Lyanne. Ihre Stimme war leise, aber kühl. »Ich hatte vor, sofort zurückzukommen.«
»Tatsächlich trägt auch die diensthabende Krankenschwester einen Teil der Verantwortung«, sagte Jenson. Und endlich glitt sein Bick von uns zu Dr. Lyanne. Es war, als würde eine tonnenschwere Last von uns genommen, als tauche man vom Grunde des Ozeans auf. »Was ich gerne wüsste, ist, was diese Patientinnen in Ihrem Büro gewollt haben.«
»Vielleicht sollten wir sie einfach fragen.«
»Sie würden lügen«, sagte Jenson. »Und wir würden nur unsere Zeit vergeuden.«
Dr. Lyannes Blick wanderte zu dem Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch. Mir drehte sich der Magen um, als mir klar wurde, dass wir einen unordentlichen Haufen zurückgelassen hatten, anstatt sie fein säuberlich zu stapeln. Als Nächstes warf sie uns einen prüfenden Blick zu und schließlich auch dem Aktenschrank. Wortlos ging sie hinüber und begann die Schubladen aufzuziehen. Es waren bloß zwei. Als sie zur unteren kam, sah sie die Akte obenauf liegen, diejenige, die wir nicht mehr rechtzeitig an ihren Platz hatten schieben können.
Ich zerbrach mir immer noch den Kopf darüber, was wir sagen konnten. Oder wohin wir rennen konnten – wir hätten Dr. Lyanne einfach beiseitestoßen, uns Lissas Hand schnappen und losrennen können.
Dr. Lyanne hob den Kopf und sah uns an.
»Geben Sie her«, sagte Jenson. Sie nahm die Akte und gab sie ihm. Er schlug sie auf, und uns blieb nichts anderes übrig, als dort zu stehen, Addie und mir und Lissa, während er sich die Papiere durchlas, und die ganze Zeit über wünschte ich mir nichts sehnlicher, als zu sterben, weil die Furcht und die Ungewissheit uns so krank machten, dass wir keine Luft mehr bekamen.
Schließlich hob der Mann den Blick und sah uns prüfend ins Gesicht. Elis Bericht hatte ganz obenauf gelegen, und er hielt ihn nun hoch, während er unsere Reaktion aufmerksam beobachtete. Und wir versuchten, versuchten so sehr, unseren Ausdruck neutral zu halten, aber es gelang uns nicht. Das Zimmer verschwamm vor unseren Augen. Wir spürten tausend glühende Nadelstiche auf der Haut.
»Interessanter Fall«, sagte er.
»Es sind die Impfungen«, platzte Addie heraus, und das Zimmer verschwamm noch etwas mehr. Wir kämpften dagegen an, zu blinzeln, denn wenn wir geblinzelt hätten, hätten wir vielleicht begonnen zu weinen – und das wäre nur ein weiteres Zeichen von Schwäche in Gegenwart dieses Mannes gewesen, der selbst absolut keine zeigte.
Dr. Lyanne richtete sich auf. Lissa stand immer noch neben der Tür, so reglos und still, dass sie genauso gut ein Möbelstück hätte sein können. Aber ihr Blick war fest auf uns gerichtet. Nicht auf das Komissionsmitglied. Nicht auf Dr. Lyanne. Sondern auf uns.
Wir ließen die Kante des Aktenschrankes los. »Die Impfungen, die jeder als Baby bekommt … Sie tun da etwas hinein …« Uns stockte der Atem. Wir mussten innehalten, um Luft zu
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