Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
inzwischen zehn Zentimeter offen.
‹Wir haben keine Zeit für Diskussionen›, sagte ich.
»Wir haben keine andere Wahl«, sagte Addie. »Ich gehe zuerst. Dann ziehe ich dich hoch. Lissa … Lissa, hör mir zu.«
»Aber Devon und Ryan …«
»Lissa!«, rief Addie. »Lissa, sie würden wollen, dass du gehst. Du kannst ihnen nur helfen, indem du gehst.«
Lissa warf einen letzten Blick Richtung Tür, die Lippen aufeinandergepresst, dann nickte sie. Addie holte tief Luft.
Wir beteten, dass das Letzte, was wir auf dieser schönen Erde zu sehen bekamen, nicht die Nornand Klinik für Psychartrie sein würde, während wir an ihr entlang in die Tiefe stürzten.
»Vorsichtig«, flüsterte Lissa, als Addie behände aus dem Fenster kletterte. Wir waren nie sportlich gewesen. Wir hatten nie in einer Mannschaft gespielt, waren nie gejoggt oder hatten auch nur getanzt. Was wir als Kind aber sehr oft getan hatten, war, auf Bäume zu klettern. Ich hatte es geliebt, hatte den Schatten der Blätter, das Gefühl der Rinde unter meinen Händen geliebt. Den Duft nach Harz, Erde und Sonnenlicht im Park.
Ich redete mir ein, wir kletterten auf einen Baum, als Addie den Vorsprung über unserem Kopf zu fassen bekam und die Zähne zusammenbiss, als unsere verwundete Hand an dem Beton entlangschrammte. Wir würden hauptsächlich auf unsere Armkraft angewiesen sein, um uns nach oben zu ziehen. Wir, die in der Turnhalle noch nie auch nur einen Klimmzug geschafft hatten. Aber wir hatten auch noch nie eine Mannschaft von Sicherheitsleuten zur Motivation gehabt, die hinter uns eine Tür aufbrachen. Und während ich ermutigende Worte flüsterte und betete und hoffte, griff Addie mit unserer zweiten Hand nach oben, umklammerte den Vorsprung so fest sie konnte und stieß sich mit beiden Beinen ab.
Einen schrecklichen Moment lang waren wir schwerelos. Hingen in der Luft. Im Ungewissen. Suchten mit den Armen, den Ellbogen, den Fingern nach einem Halt an den Ziegeln.
Und dann hörte das Rutschen auf. Addie packte zu. Und in einem Gewaltakt, der unsere Muskeln aufschreien ließ, zog sie uns hoch und über und auf den Vorsprung.
Der Himmel war ein einziges Farbenmeer. Violet. Rot. Uns blieb keine Zeit, darin zu ertrinken. Uns blieb nicht einmal Zeit, Luft zu holen.
»Lissa!«, rief Addie und griff nach unten. »Nimm meine Hand!«
Wir hievten Lissa zu uns hoch, während gleichzeitig die Tür ihres Zimmers zersplitterte.
Der Wind peitschte uns ins Gesicht, als wir über das Dach stürmten. Er wischte uns den Schweiß von der Stirn, den Augenbrauen, dem Nacken. Jeder Schritt dröhnte. Jeder Atemzug tat weh. Aber wir konnten nicht stehen bleiben. Wir mussten einen Weg nach unten finden. Irgendeinen Weg.
Das Dach schien riesig und es war nicht überall flach. Die Nornand Klinik war ein Gebäude mit seltsamen Winkeln und merkwürdigen Vorsprüngen, die Teile des Daches vor uns verbargen. Wir spähten nur widerwillig über die Dachkante des Gebäudes, aber auf der Suche nach einer Art Feuertreppe oder – leiter oder irgendetwas blieb uns nichts anderes übrig.
‹Da›, sagte ich. ‹Da drüben, auf der linken Seite. Was ist das?›
Etwas blinkte im schwindenden Licht der Sonne. Etwas Metallenes. Addie schoss darauf zu, aber Lissa war schneller. Es war eine Luke. Eine Metallluke, die zurück in das Gebäude führte.
Doch in dem Moment, als Lissa sich bückte, um ihren Griff zu packen, flog sie auf und ein Wachmann kletterte aufs Dach.
Lissa machte einen Satz nach hinten, fuhr herum und rannte volles Tempo zurück zu uns, aber sie war nicht schnell genug. Der Wachmann fasste sie um die Taille. Sie kreischte. Wir warfen uns nach vorn und krachten in die Seite des Mannes. Er grunzte, aber es schien ihm nicht besonders wehgetan zu haben.
»Lassen Sie mich los!«, rief Lissa. Ihre Beine wurden zu Windmühlenflügeln, mit denen sie wild um sich trat.
»Ich brauche hier Hilfe!«, rief der Wachmann. Das Dach erzitterte unter donnernden Tritten. Es dauerte keine Sekunde und zwei weitere Männer umkreisten uns. Schwarz gekleidet. Finster guckend.
»Aufhören!«, brüllte Lissa. »Lassen Sie mich los!«
»Jetzt beruhige dich doch«, sagte einer der Männer. »Niemand will dir wehtun.«
Er beäugte Addie und mich, während er das sagte, und kam Schritt für Schritt auf uns zu. Wir wichen zurück. Einen Schritt. Zwei.
»Lassen Sie sie los«, sagte ich, unser Blick schoss kurz zu Lissa. »Er tut ihr weh.«
»Tut er nicht«, sagte der Mann. Er schob
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