Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
brauchen die Hilfe der Fahlan!“ de Braoses Stimme hallte im Tunnel unter
dem Haus.
„Das ist keine kluge Entscheidung, Inglewing! Überleg
es dir noch mal!“
„Ich komme nach. Sobald dieser Hakemi von de Braose da
ist. Sobald ich weiß, dass die ohne mich klarkommen.“
„Dann … dann geh ich jetzt, sonst komme ich auch zu
spät. Mach aber schnell, Inglewing! In deinem eigenen Interesse.“ Der Ton seines
Kollegen war bestimmt bedeutungsvoll und drängend, aber Dorian konnte sich
jetzt nicht weiter damit befassen. Dunkle Beunruhigung war alles, was McGills
Gerede in seinem Verstand zurückließ. Warum machten die im Blauen Haus nicht
auf? Das war doch ein Schlafhaus, oder nicht? Waren die nicht scharf auf
zahlende Gäste?
„ Aufmachen ! Wir haben Verletzte! Wir brauchen
Hilfe!“, kreischte Pix neben ihm los, und Carmino hämmerte an die Tür. Das
hatte dann Erfolg. Die Tür wurde plötzlich doch geöffnet, von einer Pilgerin
mit langen Zöpfen, die sich als Miryadin vorstellte.
Sie schleppten James die Stufen hinauf, durch Flure
voll altem Essensdunst und in einen Schlafsaal hinein, in dem es zu Dorians
Erstaunen sogar ein paar einzeln stehende Betten gab. Vor dem Geruch in diesem
Raum zuckte er zurück, er war vertraut, aber nicht willkommen: ein starker,
bitterer Kräutergeruch über dem schalen Gestank von kranken Menschen. Erinnerte
ihn an Bindoris Krankenzimmer in Halmyre. Seine Großmutter vertrat zwar
tatkräftig die Ansicht, dass Kranke versorgt und nicht in eine Hütte vor das
Dorf verbannt gehörten. Aber er hatte sich nie wirklich von der instinktiven
Ablehnung von Kranken freimachen können, die er mit den Menschen teilte, mit
denen er aufgewachsen war. Es fiel ihm schwer, in diesem Raum auch nur zu atmen
und nicht gleich die Flucht zu ergreifen.
Die Frau führte sie zu einem Bett, auf dem sie James
ablegen konnten. Diese Miryadin trug zwar das Pilgerweiß, aber ihre Stimme
klang immerhin angenehm ruhig und vernünftig. Offenbar kannte sie James und
auch de Braose. Sie fragte, wie es zu den Verletzungen gekommen war, stellte
aber keine nutzlosen Fragen darüber hinaus oder lamentierte herum. Nach wenigen
Minuten hatte sie seine verstörte Herde im Griff. Carmino ging, um frisches
Wasser zu holen, Pix war ihren stinkenden Pullover los, Sandrou schlief auf
einem freien Bett weiter, ohne aufgewacht zu sein, James, inzwischen wieder bei
Bewusstsein, bekam irgendetwas zu trinken, und de Braoses Kopfwunde wurde
versorgt.
Dorian riskierte einen vorsichtigen Rundblick – noch
mehr Blut oder Wunden oder andere widerliche Anblicke brauchte er heute nicht –
aber die Betten waren bis auf wenige Ausnahmen leer, obwohl die meisten benutzt
aussahen. Aus einem Winkel ertönte eine mürbe Stimme, die immer wieder
dieselben unverständlichen Worte murmelte, einen Reim oder ein Gebet. Das
Getöse aus dem Hafen war hier nur gedämpft zu hören.
Er setzte sich auf das Bett, in dem Sandrou schlief,
und die Anspannung der letzten Stunde sackte von seinen Schultern. Benommen sah
er der Fahlan zu und fand ihr zweckmäßiges, sicheres Hantieren beruhigend. Sie
wusch de Braose das Blut vom Gesicht und reinigte die Wunde – als er wieder
hinsah, war sie schon mit einer grünbraunen Kräuterauflage bedeckt. Während die
Frau ihm die blutverkrustete Kleidung vom Oberkörper schnitt, beantwortete der
Ghistriarde ihre Fragen mit leiser, aber fester Stimme. So schlimm konnte es
ihn also doch nicht erwischt haben. Am Ende saß er gegen Kissen gelehnt und bis
zum Hals zugedeckt in dem freien Bett neben Sandrou. Die Fahlan kehrte gerade mit
einem Becher zu ihm zurück, als plötzlich ein heiseres, durchdringendes Tuten
durch die Bucht dröhnte, so laut, dass die Glasscheiben in den Fensterrahmen
klirrten. Es klang wie der Schmerzensschrei eines Monsters.
„Das war der erste Karann“, sagte die Frau. „Ich hätte
euch vorwarnen sollen. Es ist ein sehr großes Horn, das oben auf dem Kumatinli
geblasen wird. Die Sonne ist untergegangen, von jetzt an ertönt es in Abständen
von halben Stundengläsern, bis Kumatai dort im Ring steht.“
„Sind die denn alle bekloppt hier?“, ächzte Pix.
„Und bei jedem Mal wird eine Kelle Karann an die
Gläubigen ausgegeben“, fuhr die Frau in säuerlichem Ton fort. „Das ist der
Hauptgrund dafür, dass jeder, der noch laufen kann, beim Pantaguri unten am
Strand steht. Karann gibt’s nur zum Pantagurifest, und nur die Priesterinnen
der Kumatai dürfen ihn herstellen. Das Rezept
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