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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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hörte, daß sie sich unter der Tür bewegte.
    «Okay, du hast heute gesiegt, du Laffe», sagte er in bestem venezianischem Dialekt, der ihm zu dieser Stunde zur Verfügung stand. «Geh und häng dich auf.»
    Aber sie hängen sich nicht auf, dachte er. Die müssen immer weiter Zeitungen unter anderer Leute Türen schieben, von denen sie noch nicht einmal gehaßt werden. Exfaschist sein ist sicher gar kein leichter Beruf. Vielleicht ist er auch gar kein Exfaschist. Woher weiß man das schon?
    Ich kann Faschisten nicht hassen, dachte er. Und Krauts auch nicht, da ich leider Soldat bin.
    «Hör mal, Porträt», sagte er. «Muß ich die Krauts hassen, weil wir sie töten? Muß ich sie als Soldaten und als menschliche Wesen hassen? Diese Lösung erscheint mir zu einfach. Na, Porträt, laß man gut sein, laß man gut sein. Du bist nicht alt genug, um davon etwas zu verstehen. Du bist zwei Jahre jünger als das Mädchen, das du darstellst, und sie ist jünger und älter als die Hölle, und die ist ziemlich alt.»
    «Hör mal, Porträt», sagte er, und während er es sagte, wußte er, daß er jetzt, solange er lebte, jemanden haben würde, mit dem er sich in den frühen Morgenstunden, wenn er aufwachte, unterhalten konnte.
    «Wie ich schon eben sagte, Porträt, zur Hölle auch damit. Dafür bist du auch noch nicht alt genug. Das gehört zu den Dingen, über die man nicht reden kann, wie wahr sie auch sein mögen. Es gibt vieles, was ich nicht zu dir sagen kann, und vielleicht ist das gut für mich. Es ist immerhin an der Zeit, daß etwas gut für mich wäre. Was glaubst du wohl, was gut für mich wäre, Porträt?
    Was ist los, Porträt?» fragte er. «Wirst du hungrig? Ich ja.»
    Er klingelte nach dem Kellner, der ihm sein Frühstück bringen würde.
    Obschon es jetzt so hell war, daß jede Welle auf dem Canal Grande bleifarben und vom Wind massiv gedrungen sichtbar war, und die Flut hoch über den Landungsstufen des Palace stand – direkt seinem Zimmer gegenüber –, wußte er, daß noch mehrere Stunden lang kein Telefonanruf kommen würde.
    Die Jungen schlafen gut, dachte er. Sie verdienen es.
    «Warum müssen wir alt werden?» fragte er den Kellner mit dem Glasauge, der mit der Speisekarte hereingekommen war.
    «Ich weiß es nicht, my Colonel. Ich nehme an, daß es ein natürlicher Vorgang ist.»
    «Ja, das nehme ich auch an. Spiegeleier mit dem Gesicht nach oben, Tee und Toast.»
    «Wollen Sie nichts Amerikanisches?»
    «Zum Teufel mit allem Amerikanischen, mich ausgenommen. Ist der Gran Maestro bereits auf den Beinen?»
    «Er hat Ihren Valpolicella in den großen, bastgeflochtenen Zwei-Liter -fiascos bekommen, und ich hab eine Karaffe voll davon mitgebracht.»
    «Ja, der», sagte der Colonel. «Bei Gott, ich wünschte, ich könnte ihm ein Regiment verleihen.»
    «Ich glaube nicht, daß er wirklich eines haben möchte.»
    «Nein», sagte der Colonel. «Ich selbst möchte eigentlich auch keines.»

19
    Der Colonel frühstückte mit der Gelassenheit eines Boxers, der böse gezeichnet ist, vier hört und noch weitere fünf Sekunden wirklich zu entspannen versteht.
    «Porträt», sagte er. «Du solltest auch entspannen. Das wird das einzig Schwierige für dich sein. Das nennt man das statische Element in der Malerei. Weißt du, Porträt, daß sich beinahe kein Bild, kein Gemälde meine ich, überhaupt bewegt? Ein paar tun’s. Aber nicht viele.»
    Ich wünschte, deine Herrin wäre hier, und es gäbe Bewegung. Woher wissen so verdammt junge Mädchen wie du und sie so viel und sind außerdem so wunderschön?
    Wenn bei uns ein Mädchen wirklich schön ist, kommt sie aus Texas, und wenn man Glück hat, kann sie einem vielleicht sagen, welcher Monat es ist. Rechnen können sie jedoch alle.
    Man bringt ihnen Rechnen bei und die Beine zusammenhalten und ihr Haar mit Lockenwicklern aufrollen. Eines Tages solltest du, Porträt, für deine Sünden, wenn du welche hast, mit einem Mädchen in einem Bett schlafen, die ihr Haar aufgerollt hat, um morgens schön zu sein. Nicht heute. Die würden niemals heute abend schön sein. Nein, morgen, wenn der Wettbewerb stattfindet.
    Das Mädchen Renata, deren Ebenbild du bist, schläft jetzt und hat nie in ihrem Leben etwas mit ihrem Haar gemacht. Sie schläft, und es breitet sich über ihr Kissen aus, und es ist für sie nichts weiter als ein wunderbares, dunkles, seidiges Ärgernis, das sie kaum kämmen würde, wenn es ihr ihre Gouvernante nicht beigebracht hätte.
    Ich seh sie vor mir auf der

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