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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Böses nachsagen soll. Aber ich finde, es ist der beste Zeitpunkt, um die Wahrheit über sie zu sagen. Ich habe niemals etwas über einen Toten gesagt, was ich ihm nicht ins Gesicht gesagt hätte», und er fügte hinzu: «Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.»
    «Laß uns nicht weiter von ihm reden. Ich habe ihn im Geist degradiert.»
    «Was möchtest du denn hören, etwas Malerisches?»
    «Ja, bitte. Ich habe einen schrecklich schlechten Geschmack durch die illustrierten Zeitungen. Aber ich werde die ganze Woche über, während du fort bist, Dante lesen. Und ich werde jeden Morgen zur Messe gehen. Das sollte genügen.»
    «Geh auch vor dem Lunch zu Harry.»
    «Das werde ich», sagte sie. «Bitte, erzähl mir etwas Malerisches.»
    «Findest du nicht, daß wir lieber ein bißchen schlafen sollten?»
    «Wie können wir jetzt schlafen, wo wir so wenig Zeit haben? Fühl dies», sagte sie und drängte mit ihrem ganzen Kopf unter sein Kinn, bis sie seinen Kopf hintenüber gezwängt hatte.
    «In Ordnung. Ich werde erzählen.»
    «Erst gib mir noch deine Hand zu halten. Ich werde sie dann in meiner Hand halten, wenn ich Dante lese und die anderen Dinge tue.»
    «Dante war ein abscheulicher Mensch. Noch eingebildeter als Leclerc.»
    «Ich weiß, aber er schrieb nicht abscheulich.»
    «Nein, und Leclerc kämpfte vorzüglich.»
    «Jetzt erzähl mir.»
    Ihr Kopf lag jetzt auf seiner Brust, und der Colonel sagte: «Warum wolltest du denn nicht, daß ich meinen Rock ausziehe?»
    «Ich fühle die Knöpfe so gern. Ist das unrecht?»
    «Ich bin ein armseliger Hundsfott», sagte der Colonel. «Wieviele in deiner Familie waren Soldaten?»
    «Alle», sagte sie. «Immer. Außerdem waren sie Kaufleute, und einige waren Dogen dieser Stadt, wie du ja weißt.»
    «Aber sie haben alle gekämpft?»
    «Alle», sagte sie. «Soweit ich weiß.»
    «Okay», sagte der Colonel. «Ich werde dir alles erzählen, was du wissen willst.»
    «Einfach etwas Malerisches. So schlimm oder noch schlimmer als was in den Illustrierten steht.»
    «In der Domenica del Corriere oder der Tribuna Illustrata?»
    «Noch schlimmer, wenn möglich.»
    «Gib mir zuerst einen Kuß.»
    Sie küßte ihn zärtlich und heftig und verzweifelt, und der Colonel konnte weder an seine Kämpfe noch an malerische oder seltsame Ereignisse denken. Er dachte nur an sie, und wie sie sich anfühlte, und wie nah das Leben in der Ekstase dem Tode kommt. Und verflucht noch mal, was ist Ekstase? Und was ist die Rang-und Seriennummer von Ekstase? Und wie fühlt sich ihr schwarzer Sweater an? Und wer schuf all ihre Weichheit und Köstlichkeit und ihren seltsamen Stolz und ihre Hingabe und ihre Kinderweisheit? Ja, vielleicht hättest du Ekstase haben können, und statt dessen ist dein Los der Bruder des Schlafs.
    Der Tod ist beschissen, dachte er. Er kommt in lauter kleinen Bruchstücken zu dir, und man sieht kaum, wo er eingedrungen ist.
    Manchmal kommt er auf schauderhafte Art. Er kann von ungekochtem Wasser herrühren oder einem nicht hinaufgezogenen Moskitostiefel, oder er kann mit dem ungeheuren, weißglühenden, tosenden Heulen kommen, in dem wir gelebt haben. Er kommt im schwachen, knisternden Rascheln, das dem Geräusch der automatischen Waffen vorangeht. Er kann im rauchausströmenden Bogen der Granaten oder dem scharfen, krachenden Aufschlag aus einem Mörser kommen.
    Ich habe ihn kommen sehen, wie er sich vom Bombengestell loslöste und in jener eigentümlichen Kurve fiel. Er kommt in dem rasselnden, berstenden Zusammenkrachen von Fahrzeugen oder dem einfachen Mangel an Zugkraft auf einer glitschigen Straße.
    Die meisten Leute trifft er im Bett an, ich weiß, wie sein Gegenspieler, die Liebe. Ich habe beinahe mein ganzes Leben mit ihm verlebt, und mein Beruf war, ihn auszuteilen. Aber was kann ich diesem Mädchen jetzt an diesem kalten, windigen Morgen im Gritti Palace Hotel erzählen?
    «Was möchtest du gern wissen, Tochter?» fragte er sie.
    «Alles.»
    «In Ordnung», sagte der Colonel. «Jetzt geht’s los.»

29
    Sie lagen auf dem angenehm harten, frisch gemachten Bett, mit den Beinen fest aneinander gepreßt, und ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, und ihr Haar fiel über seinen alten, sehnigen Hals, und er erzählte ihr.
    «Wir landeten ohne viel Widerstand. Der richtige Widerstand war an dem anderen Strand. Dann mußten wir mit den Leuten, die mit Fallschirmen abgesprungen waren, Verbindung herstellen und verschiedene Städte nehmen und sichern, und dann nahmen wir Cherbourg.

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