Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
Vom Netzwerk:
Gedächtnis.»
    «Danke sehr», sagte das Mädchen. «Wenn ich dich ansehe, glaube ich es wirklich. Aber bitte, sieh mich niemals so an und denk auch nie so an mich.»
    «Wollen wir sie zu Tode hetzen und an einem hohen Baum aufhängen?» sagte der Colonel voller Erwartung.
    «Nein. Wir wollen sie vergessen.»
    «Sie ist vergessen», sagte der Colonel. Und sonderbar genug war sie’s. Es war sonderbar, weil sie einen Augenblick leibhaftig im Zimmer gewesen war und beinahe eine Panik hervorgerufen hatte, mit das Sonderbarste, was es gibt, dachte der Colonel. Über Panik wußte er Bescheid.
    Aber sie war jetzt fort, ein für allemal, kauterisiert und exorziert;

mit den elf Durchschlägen ihrer Reklassifizierungspapiere, denen die formelle vorm Notar beglaubigte Akte ihrer Ehescheidung in dreifacher Ausführung beigefügt war.
    «Sie ist vergessen», sagte der Colonel. Es war wirklich wahr.
    «Ich bin so froh darüber», sagte das Mädchen. «Ich weiß gar nicht, warum man sie überhaupt hier ins Hotel hereingelassen hat.»
    «Wir sind einander ähnlich genug», sagte der Colonel. «Verflucht noch mal, wir wollen es lieber nicht zu weit treiben.»
    «Du kannst sie aufhängen, wenn du möchtest, weil wir ihretwegen nicht heiraten können.»
    «Sie ist vergessen», sagte der Colonel zu ihr. «Vielleicht wird sie sich einmal richtig im Spiegel besehen und sich selber aufhängen.»
    «Jetzt, wo sie aus dem Zimmer raus ist, sollten wir ihr nichts Böses wünschen. Aber als gute Venezianerin wünschte ich, sie wäre tot.»
    «Ich auch», sagte der Colonel. «Und jetzt, da sie’s nicht ist, wollen wir sie auf immer vergessen.»
    «Auf immer und ewig», sagte das Mädchen. «Hoffentlich ist das die korrekte Redewendung. Oder auf spanisch para sempre.»
    «Para sempre und sein Bruder», sagte der Colonel.

28
    Sie lagen jetzt beieinander und sprachen kein Wort, und der Colonel fühlte ihren Herzschlag. Es ist leicht, ein Herz unter einem schwarzen Sweater, der von einem in der Familie gestrickt worden ist, schlagen zu hören, und ihr dunkles Haar lag lang und schwer auf seinem guten Arm. Es ist nicht schwer, dachte er. Es ist leichter als irgendwas sonst auf der Welt. Sie lag ruhig und zärtlich da, und was immer sie auch besaßen war in völliger Kommunion. Er küßte sie auf den Mund, sanft und hungrig, und dann, als ihr Eins-Sein vollkommen war, war es plötzlich, als sei ein Zustand der Bewegungslosigkeit entstanden.
    «Richard», sagte sie. «Es tut mir so leid wegen allem.»
    «Es soll dir nichts je leid tun», sagte der Colonel. «Niemals Verluste diskutieren, Tochter.»
    «Sag es noch einmal.»
    «Tochter.»
    «Willst du mir etwas Schönes erzählen, das ich dann für die ganze Woche habe, und noch etwas vom Krieg – für meine Bildung?»
    «Wir wollen das Thema Krieg fallenlassen.»
    «Nein, es ist für meine Bildung notwendig.»
    «Für meine auch», sagte der Colonel. «Nicht die Manöver. Weißt du, in unserer Armee hat sich einmal ein Generalstabsoffizier durch alle möglichen Schliche den Plan für ein Manöver verschafft. Er sah jeden Zug der feindlichen Streitkräfte voraus und machte einen so genialen Eindruck, daß er über den Kopf von einer Reihe viel besserer Leute hinweg befördert wurde. Und das war der Grund, warum wir einmal geschlagen wurden. Das und das Überhandnehmen von weekends. »
    «Wir sind doch jetzt auch auf weekend.»
    «Das weiß ich», sagte der Colonel. «Ich kann immer noch bis sieben zählen.»
    «Aber warum bist du denn über alles so erbittert?»
    «Bin ich nicht. Ich bin aber ein halbes Jahrhundert alt und weiß manches.»
    «Erzähl mir doch noch ein bißchen über Paris; ich möchte so gern die Woche über an dich und Paris denken.»
    «Tochter, warum läßt du Paris nicht aus dem Spiel?»
    «Aber ich bin doch in Paris gewesen, und ich werde wieder dorthin fahren, und ich möchte etwas darüber wissen. Es ist die schönste Stadt der Welt außer unserer Stadt, und ich möchte ein paar Dinge wirklich und wahrhaftig darüber wissen, die ich später dorthin mitnehmen kann.»
    «Wir werden zusammen hinfahren, und ich werde sie dir dort erzählen.»
    «Danke, aber erzähl mir jetzt ein bißchen davon, gerade genug für diese Woche.»
    «Leclerc war ein hochwohlgeborener Laffe, wie ich dir, glaube ich, schon erklärt habe. Sehr tapfer, sehr arrogant und außerordentlich ehrgeizig. Er ist tot, wie ich schon sagte.»
    «Ja, das hast du mir erzählt.»
    «Es heißt, daß man Toten nichts

Weitere Kostenlose Bücher